Prolog
Warum dieses Buch?
In einem kurzen Werbefilm, verbreitet von Fridays for Future, wimmert ein Kind, als der Vater es ins Bett bringt – ein Monster sei im Schrank. Der Vater beruhigt: So etwas gibt es nicht. Kaum ist das Licht aus, zwängt sich jedoch das Ungetüm aus dem Schrank. »Das Monster gibt es wirklich, lassen Sie Ihr Kind nicht mit dem Klimawandel allein«, heißt es am Ende des Spots. Auch Greta Thunberg möchte, dass wir in Panik verfallen. Mit Erfolg: Internationale Umfragen zeigen ein erschreckendes Maß an »Klimaangst« unter jungen Leuten. Dennoch befand es der WDR für notwendig, eine »Klima App« für den Schulunterricht zu entwickeln, die »dank Augmented Reality«, wie der öffentlich-rechtliche Fernsehsender mitteilt, Schüler im Klassenzimmer in einen brennenden Wald und in Flutkatastrophen hineinversetzen kann, »fast als wären sie mittendrin«. Im Kindergarten, in der Schule, auf YouTube, in Hörspielen, im Theater und im Fernsehen wird Kindern der klimabedingte Weltuntergang eingebläut. »Papa«, sagte mein fünfjähriger Sohn vor Kurzem, »wenn der Meeresspiegel steigt, dann sterben wir«. Was soll man antworten? Selbstverständlich: »Nein.« Aber darüber hinaus?
Im Sachstandsbericht des UN-Klimarats kommen Wörter wie »Katastrophe«, »Notstand« oder »Krise« nicht vor. Das internationale Expertengremium erwartet eine prosperierende Welt (Kapitel 37), allerdings gleichzeitig das Aufziehen erhöhter Wetterrisiken (Kapitel 38, 40, 52). Sozialforscher haben herausgefunden, dass Wissen über den Klimawandel umgekehrt proportional zur Angst vor dem Klimawandel ist. Eine Studie mit 2066 Teilnehmern zum Beispiel, veröffentlicht im März 2023 in der Fachzeitschrift Climate Change, ergab, dass Menschen umso weniger Sorge in Hinblick auf die globale Erwärmung hatten, je mehr sie über das Thema wussten.
Das Klimaproblem ist zu bedeutend, um darüber nachlässig oder effekthascherisch zu berichten. Doch spätestens mit dem Aufkommen der Klimabewegung Fridays for Future 2018 – ein Aufbrausen jenes Milieus, aus dem viele Journalisten stammen – haben die Medien ihren Kurs in Richtung politisch-moralischem Aktivismus (Kapitel 46) verschärft. Das ist nicht verboten: Privatwirtschaftlich finanzierte Medien dürfen politisch agieren, der sogenannte Tendenzschutz sichert das gesetzlich ab. Wissenschaftsferne Apokalyptik aber erscheint mir verantwortungslos. Die Kaltblütigkeit, mit der Journalisten und Publizisten, ja sogar »aktivistische« Forscher im Eigeninteresse insbesondere Kindern Angst machen, erfordert Aufklärung und Widerspruch.
Am 19. Dezember 2018 drängten sich im weiten Atrium des Spiegel-Hauses in der Hamburger Hafencity Hunderte Angestellte und Redakteure – darunter auch ich. Auf einer improvisierten Bühne standen die Chefs mit finsteren Mienen. Ihre Ansprachen klangen wie Reden auf einer Beerdigung. Niemand im Saal tuschelte. Sie verkündeten mit matter Stimme, dass einer der erfolgreichsten Reporter des Magazins, Claas Relotius, viele seiner Reportagen ganz oder teilweise erfunden habe. Weder den Redakteuren noch der Faktenkontrolle des Spiegels, der »Dokumentation«, war der jahrelange Betrug aufgefallen. Relotius, für zahlreiche Journalistenpreise gefeiert, galt als beliebt und wurde vielfach bewundert. Kaum jemand im Atrium wagte, nach der Verkündung zu sprechen. Ausweichende Blicke, feuchte Augen, schweigsames Auseinandergehen. »Die Berichterstattung von Relotius hat sich in weiten Teilen als gefälscht herausgestellt«, gestand das Magazin.
Ich dachte an Claas Relotius’ letzte große Reportage. Sie handelte vom Meeresspiegelanstieg und war Ende November 2018 als Titelgeschichte erschienen: »Nass«. Ich hatte sie vorab gelesen und die zuständigen Kollegen vor der Veröffentlichung gewarnt. Eine Kernthese des zwölf Seiten langen Artikels entsprach nicht der Wahrheit. In dramatischen Szenen beschreibt Relotius darin, wie die Menschen auf der Südseeinsel Kiribati ihre Siedlungen wegen des steigenden Meeresspiegels verlassen mussten; ganze Ortschaften seien untergegangen. Der Autor lässt einen Bewohner vor dem schwellenden Meer erzählen, er könne »nicht errechnen, wie viel Land es Jahr für Jahr von seinem Strand verschlingt«. Dabei sind die Pegel auf Kiribati seit Beginn der Messungen Anfang der 1990er-Jahre ziemlich stabil und zahlreiche Inseln der Region haben sich sogar vergrößert. Sie sind mit dem schwellenden Ozean mitgewachsen, sodass das Wasser nicht vordringen konnte. Studien und der Vergleich von Satellitenbildern belegen das geologische Phänomen. Ich schrieb den Kollegen meine Bedenken und klärte über die Fakten auf, doch der Artikel wurde trotzdem veröffentlicht.
Warum, so habe ich mich gefragt, kommt mein eigener Sohn auf die Idee, er müsse sterben, weil der Meeresspiegel steigt, obwohl in seinem Elternhaus kein Klima-Alarmismus herrscht? Und wie konnte Relotius’ Geschichte ausgerechnet in einem Magazin erscheinen, zu dessen behaupteter DNA das Motto »Sagen, was ist« gehört? Um mir diese Fragen zu beantworten, habe ich das vorliegende Buch geschrieben.
Es gibt massenhaft Lektüre über den Klimawandel, doch zwei Arten bestimmen das Genre: die einen, die auf dramatische Weise vor der Apokalypse warnen, und die anderen, die den Alarmismus als trojanisches Pferd politischer Kräfte entlarven wollen. Beide blenden Wesentliches aus: Einerseits hat die Wissenschaft überzeugend dargelegt, dass es ein Klimaproblem gibt, andererseits wird es tatsächlich politisch ausgebeutet. Anstatt also eine der beiden Kategorien zu bedienen, versuche ich zu erzählen, wie aus einem Nischengebiet der Meteorologie das bestimmende Thema unserer Zeit werden konnte. Das liegt nämlich keineswegs nur daran, dass die globale Erwärmung manifeste Risiken mit sich bringt, sondern auch daran, dass Wissenschaft missbräuchlich als Vehikel für Macht, Einfluss und Geld herhalten muss. Während der Klimawandel voranschreitet, eskaliert zugleich ein Lobbykrieg, der Einzelinteressen dient, aber die Lösung des zugrunde liegenden Problems erschwert. Dubiose Studien und politisierte Wissenschaftler stärken global operierende Institutionen und unterwerfen Deutschland im Dienste des Umweltschutzes einer unbarmherzigen Agenda.