In Kooperation mit Internationales Filmfestival Mannheim-Heidelberg

Ehrengäste des Festivals

Auch in diesem Jahr empfängt das Internationale Filmfestival Mannheim-Heidelberg zwei renommierte Ehrengäste: die schottische Filmemacherin Lynne Ramsay und die polnische Regisseurin Agnieszka Holland.

Die polnische Regisseurin Agnieszka Holland
Die polnische Regisseurin Agnieszka Holland

Foto: EFA

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Internationales Filmfestival Mannheim-Heidelberg

Internationales Filmfestival Mannheim-Heidelberg

73. IFFMH 2024

Vom 07. bis zum 17. November

in Kinos in Heidelberg und Mannheim

Die schottische Filmemacherin Lynne Ramsay erhält den GRAND IFFMH AWARD. Die HOMMAGE wird der polnischen Regisseurin Agnieszka Holland zuteil. Mit diesen beiden Ehrungen würdigt das Festival zwei der bedeutendsten Regisseurinnen unserer Zeit für ihr filmisches Schaffen.

Festivalleiter Dr. Sascha Keilholz: “In diesem Jahr zeichnen wir zwei Regisseurinnen aus, deren Ausnahmestatus sich in einem Kino der Grenzerfahrungen manifestiert. Bei Agnieszka Holland sind es politische und geografische Grenzen. Schonungslos stößt sie uns auf die katastrophalen Konsequenzen von Krieg und Vertreibung. Sie erzählt von Tätern und Opfern, von historischen Abgründen wie in ›Hitlerjunge Salomon‹ (1990) aber auch von gegenwärtigen wie in ›Green Border‹ (2023). Viele ihrer Filme denken Vergangenheit und Gegenwart zusammen, helfen uns, an Bruchstellen der Geschichte zu lernen. Agnieszka Holland ist eine Chronistin und Widerständlerin. Lynne Ramsay wiederum repräsentiert den Widerstand gegen das Klassensystem. Sie verleiht den Unterrepräsentierten ein Gesicht, befördert sie aus dem sozialen Abseits auf die Leinwand. Sie taucht in psychische Ausnahmesituationen ein und holt das Unvorstellbare an die Oberfläche. Das, was wir in ihren Filmen sehen, das Präsente, ist immer zugleich ein Echo einer traumatischen Vergangenheit und eine vage Andeutung zukünftiger Ereignisse. Eine fast unauflösbare Ambivalenz zieht sich durch all ihre Filme. Sie erfüllen uns mit Unbehagen und führen uns doch - oder gerade deshalb - in Versuchung. Beide Regisseurinnen stehen für ein filmisches Werk, vor dem wir die Augen nicht verschließen wollen und können.”

Ehrenpreis GRAND IFFMH AWARD für Lynne Ramsay

Mit dem GRAND IFFMH AWARD zeichnet das IFFMH Filmemacher*innen der Gegenwart für ihre eigene, stilprägende Vision von Kino aus. Nach Guillaume Nicloux (2021), Alice Winocour (2022) und Nicolas Winding Refn (2023) erhält in diesem Jahr Lynne Ramsay die mit 10.000 Euro dotierte Auszeichnung.

Lynne Ramsay, Jahrgang 1969, ist im schottischen Glasgow aufgewachsen und studierte Kamera sowie Regie an der renommierten National Film and Television School in Beaconsfield bei London. Ihr Abschlussfilm ›Small Deaths‹ wurde 1996 auf dem Filmfestival von Cannes gezeigt und sogleich mit dem Preis der Jury ausgezeichnet. 1999 realisierte sie ihr ebenso hartes wie warmherziges Langfilmdebüt ›Ratcatcher‹, das ihr den BAFTA-Award einbrachte. Es ist das Porträt eines zwölfjährigen Jungen, der in den 70er-Jahren unter prekären Bedingungen in einem Arbeiterviertel Glasgows aufwächst. Drei Jahre später folgte ›Morvern Callar‹ mit den Hauptdarstellerinnen Samantha Morton und Kathleen McDermott. Morton wurde mit dem British Independent Film Award ausgezeichnet und McDermott ihrerseits mit einem BAFTA-Award. Auch in Lynne Ramsays drittem Spielfilm ›We Need to Talk About Kevin‹ (2011) brilliert eine Hauptdarstellerin: Tilda Swinton erhielt für ihr Porträt als Mutter eines soziopathischen Kindes den Europäischen Filmpreis. Und Ramsays Neo-Noir-Thriller ›A Beautiful Day‹ (2017), eine Umdeutung des Klassikers ›Taxi Driver‹ (1976), vereinte sie mit einer Schauspielikone, für die sich die Zusammenarbeit auszahlte: Joaquin Phoenix wurde für seine Rolle als traumatisierter Auftragskiller zum Besten Schauspieler der Filmfestspiele von Cannes gewählt. Kürzlich stellten Ramsay und Phoenix gemeinsam ›Polaris‹ fertig. Für ihr neuestes Projekt ›Die, my Love‹, das ebenfalls nächstes Jahr in die Kinos kommen soll, inszenierte sie u.a. Jennifer Lawrence und Robert Pattinson.

Kindheit, Verlust, Erinnerung, Tod, komplexe Gefühlswelten, Schuld und Trauer - die Personen in Lynne Ramsays Filmen finden keine Ruhe. Es sind Menschen in Extremsituationen, Traumatisierte. Die Hauptfigur in ›Ratcatcher‹ ist mitschuldig am Ertrinken eines anderen Jungen. ›Morvern Callar‹ handelt von einer jungen Frau, die den Selbstmord ihres Freunds nicht der Polizei meldet. ›We Need to Talk About Kevin‹ erzählt von einer Mutter (Tilda Swinton), die lernen muss, mit den Taten ihres soziopathischen Sohnes und ihrem gefühlten eigenen Versagen umzugehen. Auch die Narben des Auftragskillers Joe (Joaquin Phoenix) in ›A Beautiful Day‹ zeugen von seinen Traumata. All das zeigt Ramsay ohne Pathos, vielmehr lässt sie Raum für Interpretationen. Ihr filmisches Erzählen funktioniert oft indirekt, es zeichnet sich durch Andeutungen und Auslassungen aus. Und es nimmt die Zuschauer*innen mit in die Welt ihrer ruhelosen Figuren.

Die Ehrung findet am 09. November im Stadthaus N1 in Mannheim statt. Im Anschluss wird der Film ›A Beautiful Day‹ (2017) gezeigt. Darüber hinaus sind beim 73. IFFMH ›Ratcatcher‹ (1999) und ›We Need to Talk About Kevin‹ (2011) nochmals zu erleben. Bei einer Masterclass, einem für alle Interessierten offenen Werkgespräch, am 10. November in der Festival-Lounge im Karlstorbahnhof, wird Lynne Ramsay Auskunft zu ihrem Werk geben.

HOMMAGE an Agnieszka Holland

Mit der HOMMAGE ehrt das IFFMH große Persönlichkeiten der internationalen Filmbranche. Zu den bisherigen Ehrengästen zählten Regielegende Claude Lelouch (2021), der belgische Kameramann Benoît Debie (2022) und im letzten Jahr die französische Kamerafrau Agnès Godard. In diesem Jahr würdigt das Festival die polnische Regisseurin Agnieszka Holland, eine Chronistin europäischer Zeitgeschichte und eine der international wichtigsten Stimmen des politischen Kinos.

1948 in Warschau geboren, sind das Trauma des Zweiten Weltkriegs und die stalinistische Gegenwart eng mit Agnieszka Hollands Familiengeschichte verwoben. Hollands katholische Mutter ist während des Krieges Mitglied des Widerstandes, die Eltern ihres jüdischen Vaters werden im Ghetto ermordet. Das tschechische Kino übt eine große Faszination auf die junge Frau aus und sie geht zum Studium der Filmregie an die Prager Filmuniversität. Sie erlebt den Prager Frühling und wird bei einer Protestaktion verhaftet - Ohnmacht, Revolution und Widerstand sind Erfahrungen, die zu Leitmotiven ihres Schaffens werden.

Sie setzt sich immer wieder mit faschistischen und kommunistischen Verbrechen auseinander, dreht drei Filme über den Holocaust: ›Bittere Ernte‹ mit Armin Müller-Stahl (1985) brachte ihr eine Oscar-Nominierung ein, später ›In Darkness‹ (2011), und dazwischen ›Hitlerjunge Salomon‹ (1990), in dem sich das Grauen des Krieges im Gesicht eines 14-jährigen spiegelt. 1981 wird in Polen das Kriegsrecht verhängt, was sie ins Exil nach Frankreich treibt. In einem Pariser Filmstudio indes lässt sie das Warschau jener Zeit wieder aufbauen: für ihren Film ›Der Priestermord‹ (1988) über die Ermordung Jerzy Popiełuszkos, eines Unterstützers der Solidarność, durch die polnischen Behörden. Diese erste von drei Arbeiten mit dem Schauspieler Ed Harris ist ein leidenschaftliches Plädoyer für die Freiheit und zugleich ein hartes Portrait der Umstände, unter denen sie verloren geht. 1993 gelingt ihr der Sprung in die USA. Von Francis Ford Coppola produziert und mit englisch-amerikanischem Cast verfilmt sie das Kinderbuch ›Der geheime Garten‹ (1993), dann ›Total Eclipse – Die Affäre von Rimbaud und Verlaine‹ (1995) mit dem jungen Leonardo DiCaprio. Der bisher bedeutendste Film ihres Spätwerks hingegen könnte gegenwärtiger nicht sein. ›Green Border“ (2023) ist eine Abrechnung mit der polnischen und europäischen Flüchtlingspolitik. Der Film wurde in Venedig gefeiert und mit sieben Preisen ausgezeichnet und dann von oberster Stelle einer brutal verunglimpfenden Kampagne ausgesetzt, gar mit faschistischer Propaganda verglichen.

Im Rahmen der HOMMAGE sind beim 73. IFFMH drei zentrale Arbeiten aus dem Werk Hollands nochmals auf der großen Leinwand zu erleben: ›Green Border‹ (2023), ›Olivier‹ (1992) und ›Hitlerjunge Salomon‹ (1990). Außerdem wird auch Holland in einer Masterclass am 14. November im Cinema Quadrat über ihre kinematographischen Visionen sprechen, darüber, warum die Perspektive junger Menschen in ihren Filmen so wichtig ist und nicht zuletzt, wie sie auf die politischen Ereignisse der Gegenwart und den Zustand Europas blickt.

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