In Kooperation mit Internationales Filmfestival Mannheim-Heidelberg

Retro: Körper im Film

Die diesjährige Retrospektive des 73. Internationalen Filmfestivals Mannheim-Heidelberg widmet sich dem vielschichtigen Thema »Körper im Film«. Insgesamt 12 Werke haben Festivalleiter Dr. Sascha Keilholz und Kurator Hannes Brühwiler ausgewählt.

Szene aus dem Film „Die schwarze aus Dakar“ von Ousmane Sembène, Senegal 1966
Szene aus dem Film „Die schwarze aus Dakar“ von Ousmane Sembène, Senegal 1966

Foto: Trigon Film

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Internationales Filmfestival Mannheim-Heidelberg

Internationales Filmfestival Mannheim-Heidelberg

73. IFFMH 2024

Vom 07. bis zum 17. November

in Kinos in Heidelberg und Mannheim

Die in der Retrospektive neu oder wieder zu entdeckenden Filme verdeutlichen, wie sich die Darstellung von Körpern seit den Anfängen des Kinos verändert hat: Vom Stummfilm bis heute, von den frühen Slapstick-Filmen Buster Keatons, in denen ein Großteil der Komik aus halsbrecherischen Stunts entsteht, bis hin zu digital erschaffenen Körpern im modernen Science-Fiction-Kino. Es geht um eigene und fremde Körperwahrnehmungen ebenso wie um Fragen nach Identität, Sexualität, Race und Behinderung, um politischen Widerstand und um Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern.

Kurator Hannes Brühwiler: “In diesem Jahr haben wir für unsere Retrospektive ein Thema gewählt, das uns kaum näher sein könnte: den menschlichen Körper. Auch in der Geschichte des Films nimmt er eine besondere Rolle ein. Der Körper der Darsteller*innen ist für das Kino ein Mittel der Verführung, um uns in dieses wunderbare Medium eintauchen, ja von ihm berühren zu lassen. Um die Körper herum und durch sie wird die Handlung erzählt. Aber es sind auch Identitätsfragen, Vorurteile und Rassismen mit dem Körper verknüpft. - Angesichts des komplexen Themas freuen wir uns, eine inhaltlich wie in puncto Genre herrlich vielfältige Auswahl an Filmen zeigen zu können. Sie umfasst sowohl einige Klassiker als auch großartige Wiederentdeckungen.”

Im Rahmen der Retrospektive wird am 16. November auch eine Podiumsdiskussion in der Festival-Lounge im Karlstorbahnhof Heidelberg stattfinden. Zu Gast sind die Künstlerin, Kuratorin und Autorin Moshtari Hilal (»Hässlichkeit«) und der Mannheimer Schauspieler und Autor Samuel Koch. Der Eintritt zu dieser Diskussionsrunde ist wie immer frei.

Körper und Geschlecht

Körper sind im Film Spiegel und Katalysatoren der Handlung. Wie im Leben sind sie Zeichen der Beziehung der Figuren zu sich selbst und zu anderen. Aber sie unterliegen auch gesellschaftlichen Wertungen. Im Werk der französischen Regisseurin und Autorin Catherine Breillat spielt das eine zentrale Rolle. Sie fordert unsere stereotypen Vorstellungen von Körpern heraus. Was ist Schönheit? Wer ist begehrenswert? So auch in ihrem Film ›Meine Schwester‹ (2001), einer so berührenden wie verstörenden Coming-of-Age-Geschichte um ein übergewichtiges, 12-jähriges Mädchen (Anaïs Reboux). ›Meine Schwester‹ zeigt nicht nur das Entdecken und Infragestellen des eigenen Körpers, es geht auch um das Beobachten, um Gewaltphantasien und nicht zuletzt um männliche Manipulation und Gewalt.

Jane Campions ›In the Cut‹ (2003) beschäftigt sich mit weiblichem Begehren und zeichnet dabei ein komplexes Bild, das zwischen der schieren Lust, romantischen Träumereien und brutaler Realität changiert. Eine New Yorker Literaturprofessorin lernt einen Polizisten kennen, der in einem Frauenmord ermittelt, fühlt sich körperlich zu ihm hingezogen und verdächtigt ihn zugleich, etwas mit dem Mord zu tun zu haben. Mit dieser Rolle brach Meg Ryan radikal mit ihrem Image als liebenswürdiges Sweetheart. Takashi Miike hingegen spielt in ›Audition‹ (1999) mit dem gewohnten Machtverhältnis zwischen den Geschlechtern - und dreht dieses radikal um: Auf der Suche nach einer Ehefrau bedient sich ein einsamer Witwer eines zweifelhaften Plans. Doch was als vorgetäuschtes Casting beginnt, entwickelt sich für ihn zu einem wahren Alptraum, in dem sich die Auserwählte seinen Körper vorknöpft. Ein Schlüsselwerk des Body Horrors.

Körper als politische Realitäten

Insofern der Körper als etwas unveränderlich Gegebenes in den Blick kommt, nimmt die Retrospektive aber auch drängende gesellschaftliche Fragen nach Race, körperlicher Behinderung und politischem Widerstand in den Fokus. In diesem Sinne ist der queere Kultfilm ›Watermelon Woman‹ (1996) von Cheryl Dunye eine großartige Wiederentdeckung. Selbstreflexiv und überraschend wendet sich Dunye darin gegen die Unsichtbarkeit und Abwesenheit Schwarzer und queerer Menschen in der amerikanischen Filmgeschichte. Die Regisseurin inszeniert sich selbst als junge lesbische Frau, die bei ihrer Arbeit in einer Videothek auf die vielen namenlosen Schwarzen Darsteller*innen im frühen Hollywoodkino stößt. Besonders fasziniert sie eine rassistisch abwertend “Watermelon Woman” genannte Frau. Um deren Geschichte zu erzählen, begibt sie sich auf die Suche nach ihr. Ousmane Sembènes legendärer Debütfilm ›Black Girl‹ (1966) wiederum ist ein Klassiker des afrikanischen Kinos. Sembène, einer der wichtigsten Filmemacher und Schriftsteller Afrikas, erzählt darin vom Kolonialismus in einer vermeintlich postkolonialen Welt - und vom radikalen Akt des Widerstands einer jungen Frau, die beschließt, nie wieder eine Sklavin zu sein.

Zum regelrechten Sinnbild des politischen Widerstands wird der Körper von Michael Fassbender in seiner Rolle als IRA-Mitglied Bobby Sands. Unter menschenunwürdigen Bedingungen im berüchtigten nordirischen Hochsicherheitsgefängnis Maze inhaftiert, tritt er in einen Hungerstreik. Mit seinem Debütfilm ›Hunger‹ (2008) gelang dem zuvor als Videokünstler bekannten Steve McQueen ein schonungsloser Blick auf ein düsteres Stück Zeitgeschichte. Neben McQueens unnachahmlicher Schilderung des Horrors sticht vor allem Michael Fassbenders Schauspielleistung und die Inszenierung seines Körpers hervor. Um den Hungerstreik realistisch darzustellen, nahm Fassbender 20 kg ab. Demgegenüber spielt ›Freaks‹ (1932) von Tod Browning in der Welt der Sideshows, einer Form der Jahrmarkt-Unterhaltung. Hier wurden oft Menschen mit körperlichen Missbildungen zur Schau gestellt. Gespielt von tatsächlichen Sideshow-Artist*innen, rückt eine Gemeinschaft von Ausgegrenzten in den Blick, die eine radikale gegenseitige Akzeptanz pflegt. Bei seiner Uraufführung ein Skandal, trat später die humane Qualität des Films in den Vordergrund und er wurde ab den 1960er-Jahren als avantgardistisches Meisterwerk gefeiert.

Transformative Körperdarstellungen

Die Retrospektive zeigt aber auch Werke, die über mögliche Erweiterbarkeit und Veränderbarkeit von Körpern nachdenken. Der digitale Spezialeffekt des Morphings, die fließende Veränderung eines Körpers, machte James Camerons ›Terminator 2: Tag der Abrechnung‹ (1991) bei seinem Erscheinen zu einer absoluten Sensation. Auch David Cronenberg, der Begründer des Body-Horror Genres, zeigt in seinem Meisterwerk ›Videodrome‹ (1983) körperliche Transformationen auf eine revolutionäre und faszinierende Weise. Auf der besessenen Suche nach der Quelle einer Fernsehshow gerät die Hauptfigur (James Woods) in einen halluzinatorischen Strudel, bei dem sich sogar ihr eigener Körper zu verändern scheint.

Choreografierte Körper: Slapstick, Tanz und Martial Arts

In seinen Choreografien der Körper kann das Kino auf jahrhundertealte Traditionen aus Tanz, Akrobatik und Kampfkunst zurückgreifen. In diesem Zusammenhang zeigt die Retrospektive drei ausgewählte Werke aus unterschiedlichen Genres und Zeiten: Beginnend mit einem rasanten Wettstreit um den schnellsten Dampfer auf dem Mississippi in ›Steamboat Bill, Jr.‹ (1928), einem der einflussreichsten Filme von und mit Buster Keaton, in dem er seine athletischen und komödiantischen Fähigkeiten perfekt in Szene setzt. Einen betörenden Wirbel aus Bewegungen inszenieren auch Emeric Pressburger und Michael Powell mit ›Die roten Schuhe‹ (1948), einem der fulminantesten Tanzfilme der Kinogeschichte. Und von nicht minderer choreografischer Meisterschaft zeugt ›The Raid‹ (2011), in dem Gareth Evans ein Actionkino inszeniert, das seinesgleichen sucht: Einem Drogenbaron auf der Spur, muss sich ein SWAT-Team in einem Hochhaus Stockwerk um Stockwerk nach oben kämpfen. Alles dreht sich hier um perfekt inszenierte Martial-Arts-Sequenzen, in denen die kämpfenden Körper der Darsteller einen wahrhaften filmischen Rausch erzeugen. Gezeigt wird das neue Remaster des Films, das im vergangenen Jahr unter Aufsicht des Regisseurs entstand.

Die diesjährige Retrospektive des IFFMH zeigt also eine reiche Vielfalt unterschiedlicher Körperdarstellungen im Kino und bringt den Zuschauer*innen beim Streifzug durch die Zeiten die relevanten Genres und inhaltlichen Fragen näher. Und von den historischen Werken ergeben sich wieder zahlreiche spannende Querverbindungen zu den aktuellen Filmen des Programms.

Zum Programm der Retrospektive >>

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