In Kooperation mit Mehr Demokratie e. V.

„Die Demokratie ist kein Sofa“

In Brandenburg, Sachsen und Thüringen sinkt die Zufriedenheit mit der Demokratie. Gleichzeitig gibt es einen Reformstau bei der Volksgesetzgebung. Ralf-Uwe Beck (Mehr Demokratie e. V.) erklärt im Interview, was getan werden kann

Umweltaktivist und Bürgerrechtler Ralf-Uwe Beck
Umweltaktivist und Bürgerrechtler Ralf-Uwe Beck

Foto: Tobias Kromke

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„Die da oben, wir immer unten?“

„Die da oben, wir immer unten?“

Mehr Demokratie e. V.

20. August 2024 | 18:30 bis 20 Uhr

Digitale Konferenz Kostenlos – Anmeldung erforderlich.

In Kooperation mit Mehr Demokratie e. V.

„Die da oben, wir immer unten?“

Ralf-Uwe Beck ist Thüringer, gelernter Traktorist, Theologe und nicht zuletzt Umweltaktivist und Bürgerrechtler. Für Mehr Demokratie e. V. arbeitet er als Sprecher des Bundesvorstandes und des Thüringer Landesverbandes.

Herr Beck, Sie setzen sich seit mehr als 30 Jahren für Mehr Demokratie ein. In dieser Zeit gab es in nahezu allen Bundesländern Reformen bei der direkten Demokratie. Wo sind Ihrer Meinung nach heute die größten Demokratie-Baustellen?

Auf Bundesebene fehlen Volksbegehren und Volksentscheide. Das halte ich für die größte Demokratie-Baustelle. Und in den drei Ländern, in denen Landtagswahlen anstehen, klemmt es an unterschiedlichen Stellen: In Brandenburg müssen die Menschen, um ein Volksbegehren unterschreiben zu können, aufs Amt. Es fehlt die freie Unterschriftensammlung. In Sachsen ist die Unterschriftenhürde für Volksbegehren zu hoch, es ist die höchste in Deutschland. Die muss runter. In Thüringen ist die Hürde auch zu hoch und es darf nichts zur Abstimmung kosten, das Geld kostet. Das ist absurd, zahlen wir doch ausnahmslos über unsere Steuermittel jede Zeche. Da wir über Baustellen reden: Positiv ist, dass es kein Mangel an Baumaterial gibt, um die Lücken zu schließen. Es gibt Länder, in denen die Dinge besser geregelt sind, da kann man sich bedienen.

Wenn diese Mängel bekannt sind, warum ändert das dann niemand?

Notwendig sind meist Verfassungsänderungen, für die es im Parlament eine Zwei-Drittel-Mehrheit braucht. Die muss erst einmal über die Fraktionsgrenzen hinweg organisiert werden. Und meist wird dies dann überfrachtet: Ja, wir stimmen mit euch, aber dafür müsst ihr noch dies und jenes mit beschließen. Manchmal ist es auch einfach zum Verzweifeln. In Sachsen stand im Frühjahr eine Verfassungsreform kurz vor dem Beschluss. Die direkte Demokratie sollte nach 30 Jahren endlich reformiert werden. Die Mehrheiten waren organisiert, alles war geregelt. Doch dann sprangen vier CDU-Abgeordnete ab und die Reform platzte.

Gut wäre, wenn die Parteien einfach einmal scharf stellen würden auf die Bürgerrechte und das, was notwendig ist, damit Mitbestimmungsrechte nicht nur vorgegaukelt werden, sondern auch anwendbar sind. Wer Mitbestimmung nur vorgaukelt oder verfälscht, wird mit Vertrauensverlust bestraft.

Wir erleben seit einigen Jahren einen wachsenden Populismus und starken Rechtsruck. Ist mehr direkte Demokratie da nicht eher eine Gefahr?

Schwache Mitbestimmungsrechte machen es den Populisten leicht, mit dem Finger auf „die da oben“ zu zeigen und die Demokratie überhaupt in Frage zu stellen. Starke Mitbestimmungsrechte nehmen dem Schwarzen-Peter-Spiel den Wind aus den Segeln. Ja, die direkte Demokratie könnte auch von Rechtsextremen genutzt werden; allerdings sind Bürger- oder Volksbegehren immer auch Initialzündungen für den Diskurs, der sich verbreitert und vertieft. Das entlarvt Populismus. Zudem gibt es – gerade für die direkte Demokratie auf Landesebene – einen wirksamen Schutz: Volksbegehren werden in den allen Bundesländern daraufhin überprüft, ob sie Grund- und Minderheitenrechte angreifen – und dann nicht zugelassen. Das haben wir der Schweiz voraus. Die AfD will diese Prüfung abschaffen, niemand sonst.

Warum sollten sich die Menschen überhaupt einmischen, wenn die Hürden für die Mitbestimmung zum Teil sehr hoch sind?

Demokratie ist kein Sofa, sie ist anstrengend! Es geht viel Kraft verloren, wenn ich mich nur aufrege, aber dem nichts folgen lasse. Setze ich aber auf verlässliche Instrumente, mit denen ich mich einmischen und wirklich etwas bewegen kann, ist das keine vergeudete Kraft, dann beflügelt das. Und mittlerweile haben wir in den Ländern auch Beispiele für bürgerfreundliche Bedingungen, wo das Einmischen leichter und ergiebig sein kann. Ich denke an Thüringen und die direkte Demokratie auf kommunaler Ebene. Dort haben wir es geschafft, die Hürden zu senken. Heute müssen in Erfurt für einen Einwohnerantrag nur 300 Unterschriften gesammelt werden, dann stehe ich mit meinem Thema auf der Tagesordnung des Stadtrates. Da kann ich guten Gewissens sagen: Mach doch!

Zu Mach doch!

Das Interview führte Anja Schuller.

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