In Kooperation mit Schauspiel Köln

„Wir wollen ins Gespräch kommen“

In der Spielzeit 2024/25 wird Bassam Ghazi als Stadtdramaturg und Regisseur am Schauspiel Köln arbeiten, wo er bereits die Abteilung Theater•Stadt•Schule mitprägte. Ein Gespräch über gesellschaftliche Barrieren und das Potenzial von Theater

Das Foyer des Schauspiel Köln
Das Foyer des Schauspiel Köln

Foto: Schauspiel Köln

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Forever – and Ever and Ever and Ever

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Schauspiel Köln

Spielzeiteröffnung am 14. September!

Im Depot 1 und Depot 2 in Köln-Mühlheim

In Kooperation mit Schauspiel Köln

Forever – and Ever and Ever and Ever

Dein neuer Bereich heißt »Stadtdramaturgie«. Was kann man sich darunter vorstellen – du hast ja den Titel selbst gewählt.

Bassam Ghazi: Ich freue mich total, wieder zurückzukommen und klar – es ist auch ein Privileg, sich selbst einen Titel geben zu dürfen! Stadtdramaturgie ist für mich die Schnittstelle zwischen Theater und der Stadt. Ich sehe mich als Ansprechpartner für Menschen aus der Stadtgesellschaft. Es geht um das Erschaffen künstleri­scher Begegnungsräume. Vieles wird in Zusammenarbeit mit den Kolleg*innen aus der Abteilung THEATER•STADT•SCHULE passieren.

Gemeinsam werden wir Formate entwickeln und die Menschen einladen, mitzumachen und mit uns ins Gespräch zu kommen.

Kannst du schon einen kleinen Einblick geben, was geplant ist oder was für Formate es geben wird?

Von zwei Formaten kann ich schon erzählen. Ich werde mit einer Ape, einer Art erweiterten Vespa, in der Stadt unterwegs sein und ganz unterschiedliche Viertel besuchen. Bei jedem Halt rolle ich einen roten Teppich aus und lade Menschen auf einen Chai mit mir ein. Dazu gibt es einen Textschnipsel aus unseren Inszenierungen, und der öffentliche Raum wird zur Bühne. Ich ermutige die Menschen, sich zu zeigen.

Wie Andy Warhol gesagt hat: »In Zukunft wird jeder 15 Minuten weltberühmt sein.«

Auf meinem roten Teppich sind es wohl eher 60 Sekunden ... (lacht). Es geht um eine Begegnung, um die Lust, aus dem Alltag ins Spiel zu kommen. Theater kann überall stattfinden.

Und das zweite Format?

Dafür möchten wir einmal im Monat zu einem Community Cooking einladen: Initiativen, Künstler*innen, Mitarbeitende von NGOs, Aktivist*innen der Stadtgesellschaft und natürlich auch interessierte Bürger*innen. Es soll nicht darum gehen, Vorträge zu hören oder zu halten, sondern sich ungezwungen kennenzulernen – beim Gemüse schnippeln, Kochen und beim gemeinsamen Essen. Zwischendurch gibt es auch künstlerische
Inputs, kurze Impulse in Form von Monologen, Keynotes, Musik, Tanz oder Film. Wir wollen einen Raum für Begegnung und Vernetzung schaffen. Das Format ist für ca. 100 Menschen gedacht, und alle machen mit, niemand schaut nur zu.

Für viele Menschen in der Stadtgesellschaft ist ein Theater­ besuch nichts Naheliegendes. Es gibt Berührungsängste, und noch immer sind Barrieren zu bewältigen. Siehst du auch darin deine Aufgabe – Zugänge zu schaffen?

Das ging mir ja selber so. Vor zwanzig Jahren konnte ich mit Stadttheater gar nichts anfangen. Und hätte man mir damals erzählt, dass ich dort arbeiten würde, hätte ich auf alle Fälle dagegen gewettet. Deshalb sehe ich mich auch als Vermittler – mir ist die Perspektive derer nicht fremd, die noch nie in ihrem Leben im Theater waren.

Als ich beispielsweise an der TAS, der Tages­ und Abendschule, Workshops gegeben habe – das ist Luftlinie gerade mal 500 Meter vom Schauspiel Köln in Mülheim entfernt – bin ich nicht selten auf Menschen getroffen, die gar nicht wussten, dass das Schauspiel in direkter Nachbar­schaft ist. Deswegen arbeite ich auch gerne als Regisseur mit nicht­professionellen Spieler*innen zusammen. Es liegt eine Kraft darin, Menschen zu aktivieren und ihnen eine Bühne zu geben. Dafür ist es auch wichtig, das Theater zu verlassen, mit Menschen ins Gespräch zu kommen und sie einzuladen.

Was war es denn, was dich fürs Theater begeistern konnte?

Natürlich auch die Möglichkeiten, die es am Stadttheater gibt. Und die Arbeit im Team, in der Gruppe. Und dass das Theater Raum für Begegnungen gibt. Es ist einer der wenigen nicht vorwiegend kommerziellen Räume, die wir in der Gesellschaft haben.

Du wirst auch als Regisseur in der Spielzeit 2024/25 in Köln arbeiten und Necati Öziris Roman VATERMAL auf die Bühne bringen. Mit welchem Ensemble?

Es wird im Oktober einen Open Call geben, der sich an alle Menschen aus Köln und Umgebung richtet. Gesucht werden nicht professionelle Spieler*innen, Theatererfahrungen sind natürlich willkommen. Das Alter wird breit gefächert sein – von Kindern bis älteren Menschen.

Du hast viel Erfahrung in der Arbeit mit nicht­professio­nellen Schauspieler*innen. Bereits 2008 hast du das IMPORT EXPORT KOLLEKTIV gegründet, ein junges diverses Ensemble, das seit 2015 zum Schauspiel Köln gehört. Welches Potenzial steckt in der Arbeit mit Menschen, die keine professionelle Schauspielausbildung haben?

Ich habe viele Menschen begleitet, die ich in jungen Jahren kennengelernt habe. Ich habe erlebt, wie toll und bereichernd für sie die Erfahrung war, dass sie sich Raum nehmen können, dass die Bühne auch ihnen gehört. Dann wird das Theater wirklich zum Stadt­Theater: Es gehört den Bürger*innen. Einige sind dann tatsächlich Schauspieler*innen geworden oder arbeiten jetzt im Bereich Theaterpädagogik oder Theaterwissen­schaft. Das Theater hat ihnen eine Perspektive eröffnet. Aber selbst wenn sie sich für einen ganz anderen Bereich entscheiden: Das Theater ermöglicht die Erfahrung, gemeinsam etwas zu entwickeln.

Das ist ein wichtiges Erlebnis, gerade wo so oft die Rede ist von Demokratiemüdigkeit und dem Fehlen eines Wir­-Gefühls.

Für mich ist eine andere als die kollektive Arbeitsweise schwer vorstellbar. Darum dreht sich alles in meiner Arbeit um dieses »Wir«. Wenn ich ein Stück inszeniere, habe ich kein fertiges Konzept im Kopf. Alles entsteht in der Begegnung und Ausein­andersetzung. Wenn die Mitwirkenden das Gefühl haben, dass es mehr und mehr auch ihr Stück wird – Wertschätzung und Selbstwirksamkeit lösen extrem viel aus und empowern Menschen.

Kommen wir zur Stadt, für die wir Theater machen – Köln ist eine Stadt der Gegensätze. Es gibt eine hohe Zahl an Millionär* innen und auf der anderen Seite, nicht selten vom Rhein getrennt, gibt es sehr viel Armut. Aus einer repräsentativen Befragung der Stadt Köln aus dem Jahr 2023 geht hervor, dass 24 Prozent der Kölner Haushalte von Armut bedroht sind. Wie ist dein Blick auf die Stadt?

Die Armut gehört für mich leider zur Alltagsrealität der Städte. Ich selbst bin in Berlin­Neukölln großgeworden. Dann habe ich über 15 Jahre in Köln­-Mülheim gelebt. Ich kenne aber auch, dass Stadtteile als soziale Brennpunkte gelabelt werden und die Innenwahrnehmung eine andere ist, dass es dort einen Zusammenhalt und Solidarität gibt. Und einen direkten und ehrlichen Ton, den ich sehr schätze. Ich freue mich auch sehr, jetzt wieder in Mülheim arbeiten zu dürfen, weil ich da sehr connected und vernetzt bin.

Das Schauspiel ist 2013 aus der Innenstadt nach Mülheim gezogen. Wie haben das die Menschen im Viertel wahr genommen? Und wie blicken sie darauf, dass es in Zukunft wieder zurückziehen wird?

Als vor fast zwölf Jahren publik wurde, dass das Schauspiel Köln nach Mülheim ins Interim gehen wird, war im Stadtteil die Sorge groß, dass die Hochkultur sich für die Menschen vor Ort nicht wirklich interessieren wird. Dass das Abo­-Publikum in Shuttlebussen kommt und einen großen Bogen um die Nach­barschaft machen würde. Aber dann haben die Menschen sehr schnell gemerkt, dass es Interesse an der Begegnung gibt. Da war beispielsweise die Inszenierung DIE LÜCKE in der Regie von Nuran David Calis, die den NSU­-Nagelbombenanschlag thematisiert, ein wichtiges Signal. Es ist viel gewachsen in den letzten Jahren. Und in Mülheim bleibt ja eine Spielstätte, auch wenn das Haus am Offenbachplatz eröffnet wird.

Zum Abschluss eine Frage an dich als zugezogenen, aber mit der Stadt sehr identifizierten Kölner. Welchem Satz aus dem Kölschen Grundgesetz würdest du zustimmen und welchem widersprechen?

»Et es wie et es« und »Et kütt wie et kütt« würde ich grund­ sätzlich mal zustimmen, aber diese Akzeptanz darf natürlich nicht dazu führen, dass man sich mit Ungerechtigkeit abfindet und in der eigenen Komfortzone bleibt. Eine gewisse Art von Gelassenheit, die hier ja manchmal schon etwas Mediterranes hat, finde ich sehr sympathisch.

Zur Person

Bassam Ghazi ist Regisseur, Dramaturg und Vermittler. Er pendelt zwischen den Kulturen und Perspektiven und betreibt Handel mit Geschichte und Geschichten: Biografisch, postmigrantisch, divers, inkludiert und desintegriert.

Am Schauspiel Köln war er von 2015 bis 2021 künstlerischer Leiter des Import Export Kollektivs und prägte die Abteilung Theater•Stadt•Schule mit. Danach übernahm er die künstlerische Leitung Der partizipativen Sparte Stadt:Kollektiv am Düsseldorfer Schauspielhaus.

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