In Kooperation mit Plaion Pictures

„Wir mussten sehr sorgfältig überlegen“

Die Regisseure im Interview über ihren neuen Film „Das Flüstern der Felder“, über die außerhalb Polens unbekannte Romanvorlage zum Film und was der der wichtigste Grund war, die Geschichte der jungen Jagna zu erzählen

Die Regisseure DK und Hugh Welchman
Die Regisseure DK und Hugh Welchman

Foto: Breakthrufilm / PLAION PICTURES

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Das Flüstern der Felder

Das Flüstern der Felder

DK & Hugh Welchman

Drama

Polen, Serbien, Litauen 2023

114 Minuten

Ab dem 12. September im Kino!

In Kooperation mit Plaion Pictures

Das Flüstern der Felder

Warum wollten Sie Władysław Reymonts Roman verfilmen, der ja außerhalb Polens nicht so bekannt ist?

HW: Während wir an LOVING VINCENT arbeiteten, versuchte DK, mein Wissen über die polnische Kultur zu erweitern. Sie kaufte mir viele berühmte Bücher, darunter „Die Bauern“. Es war das längste von allen und ich hatte viel zu tun, also schob ich das Lesen immer wieder auf. Als ich nach den Oscars endlich Urlaub machte, dachte ich: ‚Wenn ich es jetzt nicht lese, werde ich es nie tun‘. Ich las es von Anfang bis Ende – viermal, da es die Übersetzung von 1924 in vier Teilen war. Sofort wusste ich, dass es ein Meisterwerk war, ähnlich wie die Werke von Charles Dickens, Thomas Hardy oder Émile Zola. Bauern waren über tausend Jahre lang das Rückgrat der Gesellschaft in Europa. Ich fühlte mich berufen, dieses großartige Werk einem Publikum außerhalb Polens näherzubringen. Deshalb haben wir auch eine neue englische Übersetzung mit Penguin Classics organisiert, in der Hoffnung, dass mehr Leute den Roman lesen werden.

DKW: Ich hörte das Hörbuch, während ich eine Szene für LOVING VINCENT malte. Ich war von Reymonts Beschreibungen des Dorfes, der Jahreszeiten und derNatur, die die Bauern umgibt, beeindruckt. Die Figuren fand ich auch fesselnd und lustig, viel mehr als damals, als ich es als 17-Jährige zu lesen versuchte. Es ist ein Buch, das Geduld und Lebenserfahrung erfordert.

Sie konzentrieren sich bei dem Drehbuch sehr auf Jagna. Es fühlt sich an, als würden Sie ihr endlich Gerechtigkeit widerfahren lassen.

DKW: Das war der wichtigste Grund, diese Geschichte zu erzählen. Es ist ein großartiger Roman mit atemberaubenden Beschreibungen, aber was mich wirklich dazu brachte, ihn zu adaptieren, war Jagna. Als Frau wurde ich in meinem Leben oft unfair behandelt und fühlte mich mit Jagna sehr verbunden. Zuerst wird sie beneidet und missverstanden, dann schlecht behandelt und bloßgestellt und schließlich vertriebent: weil sie hübsch ist, weil sie träumerisch und künstlerisch ist, weil sie leidenschaftlich ist und vor allem, weil sie das Patriarchat in Frage stellt, das auch von der Kirche unterstützt wird. Es war, als ob sie mich rief. Dieser Film ist meine Antwort auf diesen Ruf.

Ihr Blick auf ihre Geschichte ist viel ermächtigender als der des Romans von Reymont. War das von Anfang an Ihr Ziel?

HW: Im Buch bekommt man das Gefühl, dass sie mehr will, als das Dorfleben ihr bieten kann. Wir wollten das zeigen und auch, wie das Leben der meisten Frauen vom Patriarchat bestimmt wird. Jagna ist die in Erinnerung bleibende Figur des Romans, aber es ist eine Geschichte der gesamten Gemeinschaft. Wir wollten wirklich ihren Wunsch nach Selbstausdruck zeigen.

Sie kümmert sich nicht um materielle Dinge, im Gegensatz zu allen anderen um sie herum, die von Land und Besitz besessen sind. Ihr Liebhaber Antek ist fürchterlich. Er ist abscheulich zu seiner Frau und stellt seinen Stolz über die Bedürfnisse seiner eigenen Kinder, aber am Ende des Tages versteht und akzeptiert die Gemeinschaft ihn. Aber Jagna? Sie passt einfach nicht hinein.

Wonach haben Sie bei der Besetzung der Rolle gesucht? Kamila hat etwas sehr Zeitgenössisches an sich.

HW: Wir wollten jemanden mit dieser träumerischen, flüchtigen Natur und künstlerischen Sensibilität. Und auch jemanden, der außergewöhnlich schön ist. Wir zogen nicht nur berühmte Schauspielerinnen in Polen in Betracht, sondern führten auch offene Castings in Film- und Schauspielschulen durch und trafen Leute ohne vorherige Schauspielerfahrung. Kamila wird wie Jagna oft über ihre Schönheit definiert. Einige Menschen werden deshalb eifersüchtig und besitzergreifend. Kamilla muss ganz schön kämpfen, um sich so zu definieren, wie sie es will. Sie ist eine großartige Jagna des 21. Jahrhunderts, weil sie ihre Kämpfe versteht, aber sie in den heutigen Kontext setzen kann.

DKW: Vielleicht ist es weniger so, dass sie zeitgenössisch ist, als vielmehr, dass sich die Welt nicht so sehr verändert hat. Es gibt immer noch Frauen wie Jagna überall, die ähnliche Probleme haben, wenn sie sich in der Welt und ihren doppelten Standards zurechtfinden, besonders wenn es um Sex geht.

War es eine Herausforderung, die ganze Gewalt und die Sexualität so drastisch zu zeigen?

DKW: Wir mussten sehr sorgfältig überlegen, wie wir es vermitteln. Im Buch ist körperliche Gewalt ein Teil des täglichen Lebens. Häusliche Gewalt wird nicht von allen gutgeheißen, aber sie wird akzeptiert. Wir entschieden uns, Gewalt nur dann zu zeigen, wenn sie für die Geschichte notwendig ist. Und was die Sexualität angeht: Wir haben es mit einem Liebesviereck zu tun. Es wird von Leidenschaft, Eifersucht und Wut angetrieben, also musste Sex auch ein Teil davon sein. Anderseits wollten wir auch, dass Jugendliche den Film sehen können. Wir mussten darauf achten, was für die notwendigen Altersfreigaben angemessen war.

HW: Im Buch gibt es mehr Gewalt als in unserem Film, aber da der Roman fast 1000 Seiten lang ist, gibt es einfach mehr von allem. Im Vergleich zu unserem Leben heute war die Welt, in der diese Figuren lebten, gewalttätig und hart. Wir zeigen genug, um das Publikum emotional mit der Wirkung dieser Gewalt auf unsere Figuren zu verbinden.

Es ist ein sehr musikalischer Film: voller Lieder, voller Tänze. Warum legen Sie so viel Wert darauf?

DKW: Ja, er ist überraschend musikalisch. Als wir das Drehbuch schrieben, ließen wir uns von den Beschreibungen der verschiedenen Feiern und von Borynas und Jagnas Hochzeit inspirieren, bei der die Gäste drei Tage lang tranken und tanzten. Diese Menschen führen ein hartes Leben, arbeiten unglaublich hart, aber sie wissen auch, wie man den Kreislauf des Lebens feiert. Sie lieben ihre Kleidung, ihre Musik und tanzen leidenschaftlich gern. Wir sollten alle mehr tanzen! Wir hatten das Gefühl, dass auch die Natur musikalische Begleitung brauchte. Manchmal musste sie für die Figuren sprechen, wenn sie nicht artikuliert genug waren oder sich nicht ermächtigt fühlten. Unsere enge Zusammenarbeit mit dem Komponisten Łukasz „L.U.C“ Rostkowski war entscheidend. Seine Leidenschaft für das Projekt war ein integraler Bestandteil dieses Films.

HW: Im Buch gibt es viele Anspielungen auf Musik und Tanz. Ich liebte es, dass man nicht nur die kleingeistige, klatsch- und streitsüchtige Seite sah. Man sieht, wie künstlerisch diese Menschen sind und wie sie sich mit Leidenschaft ausdrücken.

Können Sie etwas über Ihre visuellen Inspirationen erzählen? Und die Idee, einige direkte künstlerische Referenzen in die Geschichte einzubeziehen?

DKW: Dass Reymont ein Autor der Jungen Polen war, gab uns die Gelegenheit, seine Prosa mit den Werken der Maler dieser Epoche zu verbinden. Die Bewegung der Jungen Polen umfasst viele Kunstformen und Stile, aber im Kern geht es darum, die polnische Identität und Kultur zu feiern und Polen als stark und lebendig zu zeigen, obwohl es zu dieser Zeit von fremden Mächten besetzt war. Wir griffen auf die Werke polnischer Ölmaler aus dem späten 19. und frühen 20.Jahrhundert zurück und kombinierten das mit Film- und Animationstechniken des 21. Jahrhunderts. Wir beziehen uns auf die Werke von über 30 Malern, von Michał Gorstkin-Wywiórski bis Ferdynand Ruszczyc, aber vor allem zitieren wir Józef Chełmon ́ski aus der realistischen Schule. In seinen späteren Werken, als er wieder in Polen war, war die polnische Landschaft voller Pathos und Schönheit, was perfekt zu dem passte, was wir visuell erreichen wollten. Der Look, den ich für den Film mit Piotr Dominak, der auch schon bei LOVING VINCENT dabei war, geschaffen habe, basierte auf unserer eigenen Kunsterziehung. Wir sind mit diesen Gemälden aufgewachsen, wir sind immernoch voller Leidenschaft für sie und dieser Film gibt uns die Chance, diese Leidenschaft mit dem Publikum in Polen und der ganzen Welt zu teilen.

HW: Reymont war als ein Schriftsteller der Jungen Polen bekannt, aber in seinen Beschreibungen gibt es einen Hauch von magischem Realismus. Sie sind so poetisch. Wir hatten das Gefühl, dass es etwas Harmonisches hatte, all diese Maler heranzuziehen, um seine Vision zum Leben zu erwecken. Das ist etwas, das ein Realfilm einfach nicht leisten könnte. Man könnte nicht die gleichen Emotionen erzeugen.

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