Seit den Dreharbeiten zu „Der Glanz der Unsichtbaren“ hat mich die Frage der Integration hier in Frankreich in all ihren Formen interessiert. Über meine Produzentin Liza Benguigui lernte ich Sophie Bensadoun kennen, die die Idee zu einem Stoff hatte, in dem es um unbegleitete minderjährige Geflüchtete ging, die über das Kochen ihren Weg in die Gesellschaft finden. Das war der Ausgangspunkt für eine lange Recherche, wie sie bei allen meinen Filmen am Anfang steht.
Dank Sophie hatte ich das Glück, Catherine Grosjean zu treffen, eine Kochlehrerin in einer Berufsschulklasse mit minderjährigen Migranten. Ihre starke Persönlichkeit und ihr Umgang mit den Schülern haben mich sehr beeindruckt – und mir wurde klar, wie der Film aussehen könnte: Man musste diesen Jugendlichen in ihrer schwierigen Situation ein bunte, schillernde Figur gegenüberstellen. Während meiner Recherche lernte ich dann eine Reihe von Köchinnen kennen, die mich zur Cathy Marie des Films inspirierten: Eine begnadete Köchin, die schon immer davon geträumt hatte, Küchenchefin zu werden, sich aber durch ihre Sturköpfigkeit in eine ausweglose Situation manövriert und schließlich in der Küche eines Heims für junge Migranten landet. Dass sie ihren Traum so auf eine ganz andere Art verwirklichen wird, weiß sie natürlich noch nicht.
Sozialkomödie
Seit meinem ersten Film „Discount“ liebe ich das Genre der Sozialkomödie, weil es mir ermöglicht, schwierige Themen anzusprechen und sie gleichzeitig realistisch und mit Humor und Optimismus zu erzählen. Die Schlüsselfigur für „Die Küchenbrigade“ war dabei Cathy Marie: Selbstbewusst und etwas egozentrisch, sorgt ihr unfreiwilliges Eintauchen in die Lichtjahre von ihr entfernte Lebenswelt des Heims von Beginn an für komische Situationen. Aber nach und nach lernt Cathy die Jugendlichen und ihre Situation kennen, ihre Schicksale, ihre Bemühungen, in Frankreich Fuß zu fassen, die Gefahr der Abschiebung. Je weiter die Geschichte voranschreitet, desto mehr werden die komischen Elemente von anderen Emotionen abgelöst, bis sich schließlich im letzten Teil des Films ein komödiantisches Ventil in die schrille Welt des Reality-TV öffnet: Eine Welt, die Cathy verabscheut, die sich aber als subversive Möglichkeit erweist, ihren Schutzbefohlenen eine große Bühne zu verschaffen.
Audrey Lamy / Cathy Marie
Ich hatte schon bei „Der Glanz der Unsichtbaren“ das Gefühl, dass ich in Audrey Lamy so etwas wie mein Alter Ego gefunden habe. Sie ist eine zutiefst menschliche Schauspielerin, die in einem Moment von der Komödie zum Drama wechseln kann. Audrey beherrscht durch ihre Ausbildung am Conservatoire National die schauspielerischen Techniken perfekt und hat gleichzeitig eine ungewöhnliche Fähigkeit, sich auf Neues einzulassen, zu improvisieren und sich zurückzunehmen, gerade gegenüber den nicht-professionellen Schauspieler:innen.
„Die Küchenbrigade“ war für uns beide eine große Herausforderung: Ihre Figur brauchte eine gewisse Großmäuligkeit, und gleichzeitig musste man Empathie für diese Frau am Scheidepunkt ihres Lebens entwickeln. Ich bin dabei von Cathy Maries Schwächen ausgegangen, um ihr nach und nach näher zu kommen und ihre Beziehungen zu anderen Menschen wachsen zu lassen. Ihr Weg lässt sich vielleicht als einer der Selbstfindung beschreiben. Zu Beginn des Films ist sie am Rotieren, sie versteift sich auf ihre Autorität. Im weiteren Verlauf beginnt sie zu begreifen, dass es das Miteinander, das Teilen und die Großzügigkeit sind, die sie für die Verwirklichung ihres Traumes braucht. Sie wird auf ihre eigene Weise zur Chefin, an der Spitze einer veritablen Küchenbrigade, der sie ihr Wissen und ihre Liebe zur Küche weitergibt.
Audrey Lamy hat sich sehr intensiv auf diese Rolle vorbereitet. Sie verbrachte mehrere Monate in den Küchen zweier Spitzenrestaurants und ging dabei so sehr in den Abläufen professioneller Küchenbrigaden auf, dass ich sie danach kaum mehr wiedererkannte. Ähnlich wie Cathy Marie im Film ihren Traum verwirklicht, hat sich auch Audrey einen Traum erfüllt, nämlich an der Seite von François Cluzet zu spielen. Beiden ist gemeinsam, dass sie sich selber nie wichtiger nehmen als den Film. Ich glaube, das ist das Geheimnis ihrer erfolgreichen Karrieren: Sie stellen sich in den Dienst des Films, den sie drehen, sie sind vollkommen involviert. Mehr kann man sich als Regisseur nicht wünschen.
François Cluzet / Lorenzo Cardi
François Cluzet war meine Traumbesetzung für die Rolle des Lorenzo. In seiner Rolle materialisiert sich die gesellschaftliche Problematik des Films: Unbegleitete minderjährige Geflüchtete müssen in Frankreich vor ihrem 18. Lebensjahr eine Ausbildung aufnehmen, sonst werden sie ab geschoben. Lorenzo ist angetrieben von dem Wunsch, Lösungen für diese Jugendlichen zu finden, und stößt dabei in den Institutionen immer wieder auf verschlossene Türen und die langsamen Mühlen der Verwaltung. Cathy Marie ist es, die seine höflichen Methoden in Frage stellt und ihn zum zivilen Ungehorsam anstachelt. Wer könnte besser als François Cluzet Audrey Lamy Paroli bieten? ... Beide haben sich gegenseitig zu Höchstleistungen hochgeschaukelt, mit unendlicher Präzision im Spiel und grenzenloser Großzügigkeit.
Fatou Kaba / Fatou
Im Drehbuch war die Rolle der Fatou anfangs als männliche Figur geschrieben. Ich sah mir Dutzende von Schauspielern an, aber es gab immer irgend etwas, das nicht funktionierte – was nicht an den Schauspielern lag. Schließlich wurde mir der Grund klar: Ich wollte keine amouröse Zweideutigkeit zwischen Cathy und dieser Figur. Als ich Probeaufnahmen von Fatou Kaba sah, war das wie eine Erleuchtung für mich. Ich sah sofort, was sie in die Figur einbringen könnte. Im Film sind Cathy und Fatou seit Kindestagen an befreundet, sie sind zusammen im Heim aufgewachsen. Nun sind sie Erwachsene von fast 40 Jahren, Nachbarinnen, und kämpfen beide darum, ihr Leben nach ihren Träumen zu gestalten.
Chantal Neuwirth / Sabine
Ich liebte Chantal Neuwirth schon in „Wer mich liebt, nimmt den Zug“ von Patrice Chéreau, wo sie die Frau von Olivier Gourmet spielt. Sie bringt eine Farbe, ein Timbre mit, was der Küchenbrigade noch gefehlt hatte. Bei den Probeaufnahmen mit ihr musste ich viel lachen und war gleichzeitig tief berührt. Chantal gehört in die Kategorie von Schauspielern, die man vielleicht als traurige Clowns bezeichnen könnte, irgendwo zwischen Coluche und Jacques Villeret. Für eine Tragikomödie, wie wir sie vorhatten, war das perfekt. Die Sabine im Film ist geprägt von einer gewissen Zurückgenommenheit, fast einem Minderwertigkeitskomplex, sie scheint sich fast dafür zu entschuldigen, dass sie existiert, und gleichzeitig begegnet sie ihrer Umwelt mit großer Treuherzigkeit. Im Verlauf der Geschichte fasst sie immer mehr Zutrauen zu sich selbst, bis sie sich sogar jener Welt entgegenstellen kann, in die sie sich immer zum Träumen geflüchtet hat, dem Fernsehen.
Die Jugendlichen
Das Casting der Jugendlichen fand von Juli bis Oktober 2020 in verschiedenen Pariser Aufnahmeorganisationen statt. Die beiden Casting-Direktorinnen haben dabei mit über 300 Jugendlichen gesprochen. Ich sah mir alle Interviews an, insgesamt 300 Stunden Videomaterial, in dem jeder von seinem Leben und Werdegang erzählte. Egal, woher sie kommen, alle diese jungen Menschen haben eine besondere und meistens sehr harte Geschichte. Sie sind moderne Helden. Wir haben im Film dann, so zurückhaltend und respektvoll wie möglich, nur kleinere Teile ihrer eigenen Geschichten aufgegriffen, um ihre persönliche Sphäre zu schützen.
150 dieser Jugendlichen luden wir dann zu Workshops ein, in denen wir die Szene mit den Schalotten probten. 40 kamen schließlich in die engere Auswahl für den Film. Denjenigen, die nicht ausgewählt worden waren, boten wir an, als Komparsen im Film mitzuwirken. Ich gab den Jugendlichen vor den Dreharbeiten nicht das Drehbuch, sondern erzählte ihnen nur in groben Zügen die Geschichte. Es ging mir darum, ihre Natürlichkeit und Spontaneität nicht zu verlieren, das langsame Kennenlernen und Entdecken Cathy Maries. Ich musste und konnte mich in der weiteren Arbeit dabei sehr auf Audrey verlassen, die die Struktur der Szenen und der Erzählung kannte. Wir drehten den Film chronologisch, damit sie ihre Charaktere mit dem Fortschreiten der Geschichte entwickeln konnten. Der Reichtum des Films, glaube ich, rührt auch von diesem intensiven und liebevollen Austausch der Jugendlichen mit Audrey her.
Wenn sie bei diesen Dreharbeiten ein wenig von uns gelernt haben, so ist das nichts im Vergleich zu dem, was wir von ihnen gelernt haben: Ihr Respekt untereinander und gegenüber dem Team, ihre Disziplin, ihre Hingabe waren unglaublich. Sie sind die Verkörperung dessen, worum es mir in diesem Film ging, mit ihrem Mut und ihren Fähigkeiten: Sie sind das energetische Zentrum der Küchenbrigade.