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Dokumentation eines transformativen Moments

Hans Block und Moritz Riesewieck erzählen von den Hintergründen ihrer Dokumentation „Eternal You – Vom Ende der Endlichkeit“. Sechs Jahre dauerte es von der ersten Idee bis zu seiner Fertigstellung – ein Film, der beide viel Geduld lehrte

Dokumentation eines transformativen Moments
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Eternal You – Vom Ende der Endlichkeit

Eternal You – Vom Ende der Endlichkeit

Hans Block, Moritz Riesewieck

Dokumentarfilm

Deutschland, USA 2024

87 Minuten

Ab 20. Juni 2024!

Wie ist dieser Film und die Idee dazu entstanden? Was hat Sie inspiriert?

Im Jahr 2018 entdeckten wir eine Website mit der Überschrift: „Einfach unsterblich werden“. Was zunächst wie eine billige Masche erschien, entpuppte sich bald als ernstzunehmende Tech-Idee, an der u.a. am renommierten Massachusetts Institute of Technology in Boston (USA) geforscht wurde. Nachdem wir uns zunächst bloß aus Neugier für die Beta-Version des oben genannten Services angemeldet hatten, um herauszufinden, was sich hinter diesem grandiosen Versprechen verbirgt, wurde uns bald klar, dass hier mit den Hoffnungen tausender Menschen gespielt wurde, die in einer solchen Anwendung Hilfe und Trost suchten, denen aber zunächst nichts geboten wurde. Außer einer sich füllenden Warteliste hatte das Startup nichts vorzuweisen, das auch nur annähernd dem entsprach, was auf der Website versprochen wurde. Und doch war dies der Ausgangspunkt für eine Welt, die in einem rasanten Tempo zu wachsen begann. Im Windschatten der digitalen Revolution spekulieren heute Start-ups aus aller Welt auf einen riesigen Markt – den Markt der digitalen Unsterblichkeit.

Das Versprechen: Aus riesigen Datensätzen werden digitale Klone von Menschen erstellt, die auch nach dem Tod weiterbestehen. Seit fünfzehn Jahren kommunizieren Menschen rund um die Uhr über soziale Medien und Messenger-Dienste. In WhatsApp-Gesprächen enthüllen wir viele Facetten unseres Charakters und übertragen tägliche Bewusstseinsströme auf unsere Smartphones. Von Seoul in Südkorea über Iaşi in Rumänien bis hin zu Pasadena in den USA arbeiten EntwicklerInnen auf der ganzen Welt daran, aus solch intimen Daten nicht nur die Persönlichkeit eines Menschen auszulesen, sondern mithilfe Künstlicher Intelligenz auch die Muster unseres Verhaltens nachzuahmen/zu imitieren. Ihr Ziel: unsere Persönlichkeit über den Tod hinaus am Leben zu erhalten. Was wie das Drehbuch eines Science-Fiction-Films klingt, wird jetzt Realität. Wer aber sind die Menschen, die alles tun, um digital unsterblich zu werden? Was passiert mit Menschen, die versuchen, ihre Lieben wiederzubeleben – als digitale Klone? Und ist das überhaupt ethisch vertretbar?

Wie lange hat es gedauert, den Film zu drehen – vom Konzept bis zur Fertigstellung?

Die Idee entstand Anfang 2018 und wir haben den Film Ende 2023 fertiggestellt. Also insgesamt 6 Jahre. Als wir 2018 über die Idee des Films sprachen, klang die Idee des Dokumentarfilms für viele völlig absurd und kaum jemand konnte sich vorstellen, dass so etwas tatsächlich Wirklichkeit werden könnte. Seitdem haben sich die Dinge geändert. Das zeigt uns, wie schnell wir Menschen uns an solche Entwicklungen anpassen können. Wir sind fest davon überzeugt, dass sich unser Umgang mit dem Tod in den kommenden Jahren radikal ändern wird.

Was waren Ihre Beweggründe Eternal You – Vom Ende der Endlichkeit zu machen?

Hinter jedem großen technologischen Versprechen steckt immer ein menschliches Bedürfnis, das darauf wartet, befriedigt zu werden. Oftmals entspringen diese Bedürfnisse einem bestimmten Zeitgeist, einer bestimmten Ideologie. Bei unserem Film ging es uns vor allem darum, zu verstehen, warum Menschen ihre Toten nicht gehen lassen können, warum sie sich danach sehnen, mit ihnen hier auf der Erde weiterleben zu können, mit ihnen im Gespräch zu bleiben und warum Menschen Maschinen wider besseren Wissens vermenschlichen, und darüber hinaus: Wie kommt es, dass diese Menschen Merkmale ihrer Verstorbenen in den Bots und Avataren zu finden meinen? Oder umgekehrt: Wie schaffen es die KI-Entwickler, Menschen glauben zu lassen, dass da auf der anderen Seite des Bildschirms jemand ist, den diese Menschen zu kennen glauben? - Es ist uns gelungen, die ersten Nutzer und Nutzerinnen dieser neuen Technologie bei ihren allerersten Schritten zu begleiten. Damit haben wir mit unserem Film einen historischen Moment eingefangen – eine Art Epochenwechsel. Das Zeitalter der Künstlichen Intelligenz, die sich auch in den kommenden Jahren rasant weiter ausbreiten wird, stellt uns vor gesellschaftliche Herausforderungen. Welchen Nutzen, aber auch gefährlichen Schaden uns diese Technologie bringen kann, wollten wir mit unserem Film genau erforschen. Das sind die Fragen, mit denen wir uns jetzt auseinandersetzen müssen, und wir wollen die Beantwortung dieser Fragen nicht nur den Entwicklern dieser Technologie überlassen, sondern sie in die Gesellschaft hineintragen.

Erzählen Sie eine Geschichte über die Dreharbeiten.

Zu Beginn unserer Recherche und ersten Dreharbeiten konnten wir uns kaum vorstellen, warum Menschen Zuflucht zu diesen neuen Heilsversprechen suchen. Für uns wäre es völlig absurd gewesen, solche Dienste in Anspruch zu nehmen. Warum nutzen so viele Menschen auf der ganzen Welt diese neuen Angebote? Warum sehnen sich Menschen danach, den Tod zu überwinden? Irgendwann stießen wir auf den Ausdruck „transzendentale Obdachlosigkeit“ des ungarischen Philosophen Georg Lukács. Es beschreibt ganz gut die Leere, die Hunderte Millionen Menschen empfinden: Sie können nicht mehr an die Verheißung eines Lebens nach dem Tod bei Gott glauben, die religiösen Trauerriten sind für sie bedeutungslos geworden. Im Nachhinein erschien es uns logisch, dass Tech-Unternehmen versuchen, diese Lücke mit neuen, technologischen Heilsversprechen zu füllen. Eines davon ist das Versprechen, dass wir gar nicht mehr trauern müssen, weil wir die Toten virtuell am Leben erhalten können.

Hat sich der Film während der Dreharbeiten oder in der Postproduktion von Ihrer ursprünglichen Idee für den Film entfernt oder verändert?

Ja, die Perspektive unseres Films hat sich verändert. Zunächst ging es uns vor allem darum, Menschen zu begleiten, die sich unsterblich machen wollen. Doch schnell wurde uns klar, dass es nur in wenigen Ausnahmen um den Wunsch der Menschen geht, unsterblich zu werden, sondern meist um den Wunsch der Angehörigen, die Sterbenden nicht verlieren zu müssen. Als wir zum ersten Mal von Menschen hörten, die sich nach digitaler Unsterblichkeit sehnten, dachten wir in erster Linie an Menschen wie Peter Thiel und Elon Musk – Milliardäre, die den Gedanken nicht ertragen können, dass sich die Welt auch nach ihrem Tod ohne sie weiterdrehen wird. Aber die meisten Kund*innen, die wir trafen, wollten keinen Avatar von sich selbst machen, sondern von ihren verstorbenen Liebsten, nach denen sie sich sehnten – ganz unterschiedliche Menschen mit ganz unterschiedlichen Geschichten. Diese Erkenntnis spiegelte sich auch in unserem Filmtitel wider: Ursprünglich sollte unser Film „Eternal Me“ heißen. Aber das Ich wurde zum „EWIGEN DU“. Wir möchten, dass unsere Zuschauer*innen erkennen, dass wir es mit einer tiefen, sehr ernst zu nehmenden menschlichen Sehnsucht zu tun haben, die alle Teile der Bevölkerung berührt. KI weckt diesbezüglich große Hoffnungen. Und genau darüber möchten wir eine Debatte anstoßen: über die Verantwortung dafür, was KI beim Menschen auslöst, was sie dem Menschen antun kann. Wer trägt die Verantwortung für die Hoffnungen und existenziellen Schmerzen, die KI verursachen kann? Wollen wir wirklich zulassen, dass KI menschenähnlich wird?

Was waren die Herausforderungen beim Dreh/ bei der Herstellung des Films?

Abgesehen von Covid und der Inflation, die die Arbeit aller Kolleginnen und Kollegen sicherlich sehr erschwert hat, mussten wir lange auf einen Durchbruch der KI warten: Die technologische Entwicklung erfolgt in Schüben. Viele der Ankündigungen von Startups, Menschen digital unsterblich machen zu wollen, schienen lange Zeit eher Bestrebungen zu bleiben. Und dann – insbesondere mit dem Aufkommen von GPT und ähnlichen Sprachmodellen – wurde sehr schnell vieles vorher Undenkbares möglich. Obwohl wir so lange an dem Film gearbeitet haben, ist im Jahr 2023 so viel passiert und der Film hat sich in den letzten Monaten stark verändert. Auch darum geht es bisweilen beim Dokumentarfilmemachen: Warten, bis der richtige Moment gekommen ist.

Was soll das Publikum von Eternal You – Vom Ende der Endlichkeit mitnehmen?

Wir erleben derzeit einen transformativen Moment. Mit unserem Film wollen wir eine Debatte darüber eröffnen, inwieweit KI-Entwicklungen in unsere intimsten Lebensbereiche vordringen sollen oder nicht. Wir alle verlieren im Laufe unseres Lebens geliebte Menschen und wir sehen, dass sich viele Menschen nach neuen, nicht-religiösen Formen der Trauer und Erinnerung sehnen. Die KI-Bots und Avatare, die die Toten simulieren und mit denen die Hinterbliebenen sprechen können, sind da nur der nächste logische Schritt. Welche Auswirkungen diese oft sehr emotionalen Zwiegespräche auf die Psyche der Lebenden haben, ist noch weitgehend unerforscht. Unser Film erzählt die Geschichte eines der größten menschlichen Experimente unserer Zeit.

Die Entwicklung der künstlichen Intelligenz hat in den letzten zwei Jahren exponentielle Fortschritte gemacht, und Milliarden von Menschen experimentierten mit ChatGPT und anderen generativen KIs. Erstmals dringt KI in Bereiche vor, die vorher nur dem Menschen vorbehalten waren: Kreativität, Humor, (vermeintliche) Empathie... KI kann individuell auf verschiedene Menschen in unterschiedlichen Situationen reagieren. Es kann Persönlichkeiten imitieren. Gleichzeitig können die Stimmen der Menschen täuschend echt nachgebildet und ihre Mimik und Gestik nachgeahmt werden. Es ist dringend notwendig, darüber nachzudenken, was es für uns und die Gesellschaft bedeutet, wenn wir bald nicht nur einmal, sondern mehrfach existieren und wenn wir auch nach unserem Tod weiter existieren.

Gab es technisch etwas Besonderes, das Sie bei der Herstellung des Films genutzt haben – bspw. die Kameras, Ihr Ton, der Schnitt etc. … und warum waren diese wichtig?

Wir sind stolz darauf, dass sich das Thema unseres Films auf vielen Ebenen ästhetisch widerspiegelt, in der Bildgestaltung, im Schnitt, aber beispielsweise auch in der Musik: Die Komponisten Raffael Seyfried und Gregor Keienburg haben für Eternal You – Vom Ende der Endlichkeit explizit die Grenzen zwischen menschlichen und künstlichen Stimmen als musikalisches Element ausgelotet. Wann ist eine Stimme als menschliche Stimme erkennbar, wann nicht? Wie viel „Seele“ kann einer künstlich erzeugten Stimme zugeschrieben werden? Alle an unserem Film Beteiligten waren sehr offen dafür, neue Wege zu gehen.

Digitale Phänomene sind oft sehr schwer zu beobachten, da sie sich scheinbar nicht physisch manifestieren, scheinbar ortlos sind, etc. Aber die Konsequenzen, die beispielsweise der Einsatz von Künstlicher Intelligenz mit sich bringt, ihre moralischen und ethischen Implikationen sind sehr real und oft existenziell für den Menschen. Manchmal zeigen sich die Auswirkungen erst viel später und an ganz anderen Stellen als dort, wo die KIs programmiert wurden. Dokumentarfilme, die mit viel Geduld und oft auch mit vielen Reisen entstehen, können solche Zusammenhänge sichtbar machen, die sonst ungesehen bleiben würden.

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