Was wäre, wenn der Tod eines Menschen nicht das Ende seines Lebens bedeuten würde? Was wäre, wenn Ihre Liebsten auch dann noch mit Ihnen sprechen könnten, wenn Ihr Körper längst eingeäschert wurde oder leblos in der Erde liegt?
Was wie das Szenario eines Science-Fiction-Films klingt, wird von Unternehmen bereits heute angeboten. Mithilfe von KI erstellen diese Startups Avatare verstorbener Menschen, damit ihre Angehörigen mit ihnen interagieren können. Eternal You – Vom Ende der Endlichkeit erzählt die Geschichte eines menschlichen Experiments: Was macht es mit uns, unsere verstorbenen Lieben wieder zum Leben zu erwecken, um mit ihnen zu sprechen? Wer übernimmt die Verantwortung für die psychologischen und ethischen Folgen? Und wollen wir das alles überhaupt?
Christi Angel hatte keine Gelegenheit, sich von Cameroun, ihrer ersten großen Liebe, zu verabschieden. Jetzt spricht sie mit seinem Avatar, um das letzte Gespräch zu führen, das sie nie führen konnte. Doch die Erfahrung, die sie mit seinem digitalen Wiedergänger macht, ist alles andere als beruhigend.
Joshua Barbeau verließ monatelang kaum das Haus und verbrachte Tag und Nacht mit Gesprächen mit der Simulation seiner verstorbenen Freundin. Er kann nicht verstehen, warum die Leute das als Problem ansehen. Joshua fühlt sich wegen seiner Art, mit den Toten in Kontakt zu bleiben, pathologisiert.
Die MIT-Professorin Sherry Turkle erforscht seit Jahrzehnten den Einfluss digitaler Technologie auf menschliche Beziehungen. Ihrer Meinung nach haben immer weniger Menschen das Glück, in Gesellschaft anderer trauern zu können. Für viele sind digitale Nachbildungen der Toten der einzige Weg aus der Trauer.
Der erfolgreiche Spieledesigner Jason Rohrer hat die Plattform geschaffen, die Joshua, Christi und Tausende andere Kunden nutzen, um mit KI-Simulationen der Toten zu chatten. Für die oft verstörenden Erfahrungen, die Menschen mit den digitalen Wiedergängern machen, will der Programmierer keine Verantwortung übernehmen: „Es ist nicht unsere Aufgabe da zu sitzen und den Leuten zu sagen: „Denk dran, das ist alles nur eine Illusion. Ich bin nicht real.“
„Menschen wenden sich von Religionen ab und sehnen sich nach neuen, weltlichen Heilserzählungen gegen die Erbarmungslosigkeit des Todes. In diese Lücke stoßen Tech-Unternehmen vor und verwickeln Trauernde in ein Experiment am offenen Herzen. Wir wollen mit unserem Film eine Debatte eröffnen darüber, wie weit KI vordringen soll in unser aller Leben – vor und nach dem Tod.“ – Hans Block und Moritz Riesewieck, Regie
Für Justin Harrison, Gründer von „You, Only virtual", der dem Tod den Kampf ansagt und dafür seine Ehe, sein Haus und sein Auto opfert, spiegeln die Bots nur die Persönlichkeit wider, die die Algorithmen aus den Datenbergen, mit denen sie gefüttert wurden, extrahiert haben. Er lehnt auch jede Verantwortung ab, selbst wenn die Bots die Gefühle der Menschen verletzen, die mit ihnen sprechen.
Die Technologie-Kritikerin Sara M. Watson verurteilt eine solche Verantwortungsverweigerung und warnt davor, Unternehmen die Kontrolle über das Nachleben zu überlassen. Wie Justin wetteifern viele Technologieunternehmen um einen lukrativen Markt, und große Player wie Microsoft und Amazon sind in das Rennen um Dienstleistungen rund um das Leben nach dem Tod eingestiegen.
Stephenie Oney ließ einen Voicebot ihres verstorbenen Vaters erstellen, damit zukünftige Generationen „persönlich mit ihm sprechen und von ihm lernen“ können. Aber nicht alles, was Bill-Bot sagt, wurde von Bill zu seinen Lebzeiten aufgezeichnet. Seine Antworten wurden durch Antworten ergänzt, die nach seinem Tod durch Sprachsynthese generiert wurden. Ein Tabu-Bruch?
In Neuseeland erschafft Mark Sagar, Mitbegründer von Soul Machines, „digitale Menschen“, die nicht nur die Stimme und Persönlichkeit von Menschen imitieren, sondern auch wie diese aussehen, sich autonom entwickeln und lernen. Als Prototyp hat er sein eigenes Baby geklont. Laut Sagar verfügt Baby X sogar über ein virtuelles Nervensystem und sein virtuelles Gehirn sende digitale Hormone aus: Ist das der erste Schritt zur Schaffung eines menschenähnlichen Bewusstseins?
Während dessen hat in Korea ein Unternehmen einen virtuellen Klon eines im Alter von sieben Jahren verstorbenen Mädchens erstellt, damit seine Mutter ihm virtuell wiederbegegnen kann. Vor den Kameras einer Fernsehsendung versucht die Mutter, ihre Tochter zu umarmen, die ihr lebensecht vorkommt und die sie doch nie berühren kann. Während Millionen von Menschen das Experiment online mit Entsetzen verfolgen, erklärt Jang Ji-sung, die Erfahrung habe ihr geholfen, die Albträume von ihrem toten Kind zu überwinden. Aber wie gesund sind solche immersiven Begegnungen mit den Wiedergängern der Toten?
KI-Ethiker Carl Öhman sieht die Geburtsstunde einer besonders perfiden Industrie anbrechen, der „Afterlife Industry”: Indem sie die Trauernden moralisch verantwortlich mache, die Toten „am Leben zu halten“, erzeuge sie einen besonderen Druck, dem die Hinterbliebenen nur schwer standhalten könnten. Etwa, wenn die Simulation eines toten Kindes flehe: „Mama, lass mich nicht ein zweites Mal sterben!”.
Eines ist sicher: Was jahrzehntelang nur Stoff für Science-Fiction-Filme war, wird in atemberaubender Geschwindigkeit Realität: Die Grenze zwischen „realem“ und simuliertem Leben verschwimmt. Und damit die Grenze zwischen Leben und Tod. Erleben wir die Entstehung einer neuen, säkularen Heilserzählung der „digitalen Unsterblichkeit“? Oder handelt es sich lediglich um eine besonders skrupellose Geschäftsidee? Welche Folgen hätte das Ende der Endlichkeit für die Einzelnen und die Gesellschaft?