Zu dieser Zeit war Big Apple in den Augen der meisten Menschen ein heruntergekommenes, verwahrlostes urbanes Ballungsgebiet, in dem Gewaltverbrechen grassierten. Trump hingegen glaubte, der Stadt stehe ein Comeback bevor und er sei der geeignete Mann, um ihre Wiedergeburt maßgeblich voranzutreiben, wenn er nur die richtige Unterstützung hätte.
Während Donalds wohlhabender V ater Fred Trump vom Scheitern des wahnwitzigen V orhabens seines Sohnes überzeugt war, fand der aufstrebende Jungunternehmer in dem skrupellosen Anwalt und politischen Ausputzer Roy Cohn einen mächtigen V erbündeten. Fasziniert vom Potenzial, das er in Donald sah, brachte Roy dem jungen Mann bei, wie man ein korruptes System unter Anwendung hinterhältiger, halsabschneiderischer Taktiken zum eigenen Vorteil nutzen kann. Was letzten Endes zählte – so das Credo der beiden – war einzig und allein, dass man gewann.
Mit THE APPRENTICE legt der gefeierte iranisch-dänische Filmemacher Ali Abbasi nun seinen ersten englischsprachigen Spielfilm vor, eine packende Studie über eine durch und durch amerikanische Erfolgsgeschichte. Der Film übertrifft die bisherigen Arbeiten des visionären Regisseurs, der mit seinem zweiten Langfilm Border (Gräns), der 2018 bei den Filmfestspielen von Cannes den Hauptpreis in der Sektion Un Certain Regard gewann und für einen Oscar® sowie sechs Europäische Filmpreise nominiert wurde, von denen er einen gewann, international bekannt wurde. Abbasis dritter Film, Holy Spider aus dem Jahr 2022, feierte ebenfalls im Wettbewerb der Filmfestspiele von Cannes Premiere (wo Zar Amir-Ebrahimi mit dem Preis für die beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet wurde) und erntete weltweit sehr viel Anerkennung.
Regel 1: Angreifen, Angreifen, Angreifen
Abbasis Ansinnen war es nie gewesen, mit THE APPRENTICE – THE TRUMP STORY Donald Trumps Lebensgeschichte umfassend und auf konventionelle Art zu erzählen. Vielmehr schwebte ihm eine eher intime Studie über ein Kapitel in dessen Leben vor – ein Kapitel, das weitreichende Auswirkungen auf die amerikanische Kultur und die Welt insgesamt haben sollte. „Es ist keine History-Channel- Dokumentation“, sagt Abbasi, „es ist kein Biopic über Donald Trump. Wir interessieren uns nicht für jedes kleinste Detail seines Lebens. Wir wollen anhand seiner Beziehung zu Roy und Roys Beziehung zu ihm eine ganz bestimmte Geschichte erzählen.“
Diese Beziehung war für Drehbuchautor und Autor Gabriel Sherman zum Faszinosum geworden, nachdem der Tycoon mit seiner unverblümten Art bei den US-Präsidentschaftswahlen 2016 zur Überraschung vieler ins Oval Office katapultiert worden war. Der erfahrene Politikjournalist kannte sich mit der amerikanischen Rechten sehr gut aus, da er für Zeitschriften wie das New York Magazine und Vanity Fair über die Republikanische Partei und Donald Trumps Wahlkampf um das Präsidentenamt berichtet hatte. Darüber hinaus hatte er 2014 die viel beachtete Biografie The Loudest Voice in the Room über den Fox-News- Gründer Roger Ailes geschrieben. Sherman hatte zahlreiche Interviews mit Trump geführt, und zwar bereits als junger Reporter, als er beim New York Observer seine erste Anstellung hatte und über die Immobilienbranche berichtete.
Im Frühjahr 2017, als Trump erst wenige Monate im Amt war, setzte Sherman seine Gespräche mit langjährigen Quellen fort, von denen viele feststellten, dass Trump während seines Wahlkampfs und seiner ersten Tage im Weißen Haus Taktiken anwandte, die er von Cohn gelernt hatte. „Roy hatte ihm beigebracht, wie man die Presse benutzt und dass man Macht erlangen kann, indem man dafür sorgt, dass der eigene Name ständig in den Nachrichten präsent ist“, sagt Sherman.
Regel 2: Nichts zugeben. Alles leugnen
Damals kam Sherman die Idee zu einem Film, der auf dem Verhältnis der beiden Männer basiert. „Eines Tages“, so der Drehbuchautor, „dachte ich: Die Art, wie dieser Mentor, Roy Cohn, seinem jungen Gefolgsmann beibrachte, wie er zu sprechen hat, wie er die Lektionen in der dunklen Kunst, Macht zu erlangen, einzusetzen hat, bietet Stoff für einen Film.“
Die Arbeit an seinem ersten Drehbuch für einen Spielfilm begann Sherman mit intensiven Recherchen. Er las Biografien beider Männer und durchforstete YouTube nach Filmmaterial von ihnen aus den 1970er- und 80er-Jahren. Er interviewte auch Menschen, die Trump als Kind gekannt hatten, sowie ehemalige Berufskollegen von Cohn, darunter seine langjährige Assistentin Susan Bell und andere aus seiner New Yorker Kanzlei Saxe, Bacon & Bolan. Aus all dem ergab sich für ihn der Eindruck einer Beziehung, die Trump so nachhaltig geprägt hatte, dass sein späterer Aufstieg in derartige Höhen ohne die Lehrjahre bei seinem Anwalt schlichtweg als Ding der Unmöglichkeit erschienen.
„Die Leute denken bei Trump an diese ‚Maschine der Empörung’, an diese hasserfüllte, spaltende Figur, und in vielerlei Hinsicht ist er wie ein Schauspieler, der eine Rolle spielt – allerdings spielt er sie schon so lange, dass sie zu seiner Identität geworden ist“, sagt Sherman. „Aber als er in seinen Zwanzigern noch ganz am Anfang stand, war er [als Person] noch längst nicht so ausgereift. Er trat zwar aggressiv und ehrgeizig auf, sieht man sich jedoch seine ersten Interviews an, spricht er eher leise, irgendwie zögerlich. Er hat einen gewissen Charme und ist leicht unsicher, das Gegenteil von dem Mann, den wir heute kennen. Diese Seite seiner Person zu erkunden, über die eigentlich kaum jemand spricht, war bei diesem Projekt besonders spannend.“
Nach einem Treffen mit Sherman war die ausführende Produzentin Amy Baer von seiner Idee für den Film begeistert und sicherte THE APPRENTICE – THE TRUMP STORY 2018 ihre Unterstützung zu. Schon bei der Lektüre seiner ersten Drehbuchentwürfe war Baer beeindruckt, wie viel Empathie sie für den dort beschriebenen Trump empfand: Er war ein junger Mann, der sich nach Bestätigung und Anerkennung durch seinen Vater und sein Umfeld sehnte. „Diese Verletzlichkeit, dieses Streben sind so universelle menschliche Erfahrungen, dass sie ein gewisses Maß an V erständnis für den Menschen, möglich machen, das für den Politiker womöglich fehlt“, sagt Baer.
Regel 3: Den Sieg für sich beanspruchen und niemals eine Niederlage zugeben.
Baer (Brian Banks, Jerry and Marge Go Large) fährt fort: „Mit über vierzig dominierte Trump die Pop- und politische Kultur ziemlich durchgängig, doch eine Phase in seinem Lebens, die selten beleuchtet wird, ist die Zeit zwischen zwanzig und dreißig, eine Zeit in der er persönlich und beruflich zu kämpfen hatte, in der er sich seine ‚erfolgreiche’ Persönlichkeit aufbaute. Sein Streben nach Sichtbarkeit ist ein nachvollziehbarer Prozess und bietet einige Erklärungen dafür, dass er heute so süchtig nach dem Rampenlicht ist – und wahrscheinlich erklärt es auch ein Stück weit, warum er sich entschieden hat, für das Präsidentenamt zu kandidieren. Nimmt man dann noch die Mentorenschaft eines undurchsichtigen, diabolischen Genies wie Roy hinzu, hat man den Stoff für ein Drama mit Shakespeare’schen Qualitäten. Einfach ausgedrückt: Diese Zeit in Trumps Leben ist faszinierend, unterhaltsam und für ein modernes Publikum neu.“
Baer merkt auch an, die zentrale Beziehung im Drehbuch habe sie an Mary Shelleys bahnbrechenden Roman Frankenstein und die klassische Geschichte eines Schöpfers erinnert, der die Kontrolle über seine Schöpfung verliert. „Roy war immer bestrebt, die Realität gemäß seiner Weltsicht zu verbiegen, doch ihm fehlten das richtige Auftreten und Erscheinungsbild, um diese Geschichte zu verkaufen“, sagt Baer. „In Donald fand er den perfekten Lehrling – gut aussehend, reich, ehrgeizig –, den er zu dem idealen Wesen formen konnte, das alles verkörperte, wofür er stand.“
Vor allem setzte Cohn mit wilder Entschlossenheit alles daran, seine konservative Ideologie voranzutreiben und alle Widersacher, die es wagten, ihn herauszufordern, gnadenlos unterzubuttern. In einer Schlüsselszene in THE APPRENTICE – THE TRUMP STORY weiht Cohn seinen Schützling in seine „Regeln zum Gewinnen“ ein; Trump hat sich diese Regeln nicht nur zu Herzen genommen, sie wurden auch zum Mantra des späteren Präsidenten:
Regel 1. Angreifen. Angreifen. Angreifen. Regel 2. Nichts zugeben. Alles leugnen. Regel 3. Den Sieg für sich beanspruchen und niemals eine Niederlage zugeben.