F: Welche Erinnerungen haben Sie an Ihre ersten Gespräche mit Joshua Oppenheimer über The End? Kannten Sie seine früheren Dokumentarfilme?
Josh Schmidt: Ich kannte seine früheren Arbeiten auf jeden Fall. Ich muss sagen, dass die Arbeit an den Songs eine der bereicherndsten kollaborativen Kompositionserfahrungen war, die ich je gemacht habe. Als wir uns das erste Mal unterhielten, war er in Dänemark und ich in den USA. Ich hatte die dritte oder vierte Fassung des Drehbuchs gelesen und sagte zu ihm: „In gewisser Weise geht es um Hoffnung. Die Familie muss jeden Morgen aufstehen und sich trotz einer scheinbar hoffnungslosen Situation wie Menschen verhalten“. Die Musik und die Tätigkeiten, denen diese Menschen in diesem Bunker nachgehen, haben allesamt damit zu tun, eine Struktur aufrechtzuerhalten, in die sie ihr Herzblut investieren können und die ihnen das Gefühl gibt, dass es sich lohnt, am nächsten Tag aufzustehen. Joshua und ich haben Wege gefunden, das Drehbuch, die Musik und die Texte als Studie darüber zu betrachten, wie Menschen die Hoffnung bewahren, um schwierige Situationen zu überstehen. Ich kann gar nicht genug betonen, wie bereichernd es war, Zeit zu haben, mich wirklich mit diesen Songs und ihrer Bedeutung für die Figuren, die sie singen, auseinanderzusetzen.
F: Joshua hat Golden-Age-Musicals als starken Einfluss genannt. Gab es bestimmte Musicals, auf die Sie sich bezogen haben, und können Sie näher darauf eingehen, wie diese Art des Geschichtenerzählens Ihre Arbeit am Film beeinflusst hat?
Josh Schmidt: Wenn man von Golden-Age-Musicals spricht, meint man oft eine Zeit, in der sich die Form über Vaudeville und Tin Pan Alley hinaus entwickelte, als Rogers und Hammerstein ihre Zusammenarbeit begannen. In diesen Jahren befand sich Amerika in einer günstigen geopolitischen Lage. South Pacific oder The King and I – diese Musicals haben eine zutiefst westliche Perspektive, und in all den Stücken aus dieser Zeit steckt unglaublich viel Hoffnung. Sie sind vielleicht ein bisschen naiv, ein bisschen unschuldig. Das ist der Geist, der in dieser Musik steckt. Aber was keiner von uns wollte, war eine Satire oder über die Lage der Figuren und ihre Gefühle in diesem Bunker zu spotten. The End ist keine Satire. Die Form wird nicht augenzwinkernd verwendet.
F: Was waren Ihre größten Inspirationsquellen, als Sie mit dem Schreiben und Komponieren der Musik zu den Texten von Joshua begannen?
Josh Schmidt: Als ich an Bord kam, befanden wir uns noch in der Erkundungsphase. Der erste richtige Song, den Joshua und ich zu schreiben begannen, war „Der weite blaue Himmel“, der Song von Vater, und diese Musik zieht sich in Fragmenten durch den ganzen Film. Der nächste Song war „Der Spiegel“ von Mutter. In Caroline, or Change hat Jeanine Tesori diesen Song namens „Lot's Wife“, und es ist im Wesentlichen ein langer Monolog, in dem alles ausgesprochen wird. Vielleicht ist ein sehr früher Vorläufer davon in Gypsy zu finden, mit Sondheims und Jules Stynes „Rose's Turn“, das aus Fragmenten anderer Songs des Musicals zusammengesetzt ist. Die fragmentarische Natur dieser Songs repräsentiert einen Gemütszustand. Es geht darum, dass jemand eine Reihe verschiedener Emotionen auf einmal durchlebt. Kleine musikalische Fragmente, die sich durch den Song von Mutter ziehen, ziehen sich auch durch den ganzen Film. So arbeite ich am liebsten, besonders wenn ich versuche, eine Reihe von Musikstücken aktiv in einen dramatischen Rahmen einzubetten: Die Songs selbst können sehr unterschiedlich sein, aber das musikalische Material, aus dem sie stammen, muss eine gewisse Kontinuität haben. So bekommt man das Gefühl, dass eine kohärente Welt dargestellt wird.
F: The End enthält insgesamt 13 Songs. Können Sie beschreiben, wie sie entstanden sind, wie Sie und Joshua in der Anfangsphase zusammengearbeitet haben und wie sie sich im Laufe der Zeit entwickelt haben?
Josh Schmidt: Am Anfang trafen wir uns jeden Tag und arbeiteten vier oder fünf Stunden zusammen. Wir waren während der sechs Monate, in denen wir die Piano-/Vocal-Versionen der Songs komponierten, nur Piano und Gesang, sehr gut aufeinander eingespielt. Ohne Orchestrierung. Dann habe ich einige Demos mit Stimmen bei mir zu Hause gemacht und Joshua und das Team haben dann vollständige Demoaufnahmen aller Songs mit Sänger:innen in Kopenhagen gemacht. Die Leute, die die Demos sangen, waren professionelle Sänger:innen. Und wer meine Theatermusik kennt, weiß, dass ich als Komponist mit Schauspieler:innen aufgewachsen bin, vor allem mit Charakterdarsteller:innen. Ich bin ein großer Befürworter einer sehr naturalistischen Performance, bei der ein Song auf die Emotionen der Figur zugeschnitten ist. Aber für Joshua war es hilfreich, ein Gefühl dafür zu bekommen, wie es ist, mit Sänger:innen zu arbeiten, bevor er mit den Darsteller:innen daran arbeitet, wie man in einen Song hinein- und wieder herauskommt, sodass er sich nahtlos in die Dramaturgie einfügt. Danach habe ich einen ersten Entwurf für die Orchestrierung der Songs angefertigt und die Grundlage für die Ouvertüre geschrieben. Wenn dann die Darsteller:innen besetzt sind, werden die Karten neu gemischt. Sie bringen ihre eigenen Ideen ein. Man muss alles so anpassen, dass sie sich wohl fühlen und ihre Persönlichkeit in den Songs zum Ausdruck kommt.
F: Welche Rolle spielte Marius De Vries (La La Land, CODA, Annette) in der Produktion?
Josh Schmidt: Ich kann gar nicht genug betonen, wie wertvoll es war, Marius als Leitenden Musikproduzenten zu haben – seine Erfahrung, das Beste aus jedem herauszuholen, war von unschätzbarem Wert. Auch die technische Erfahrung von Fiora Cutler aus The Human Voice war unglaublich. Sie hat dafür gesorgt, dass sich das Ensemble beim Singen wohlfühlte und dass bestimmte Ideen auf interessante und gesunde Weise in ihren Stimmen zum Ausdruck kommen konnten.
F: Haben die Darsteller:innen live am Set oder zu vorab aufgenommenen Tracks gesungen?
Josh Schmidt: Fast alle Gesangsaufnahmen wurden live am Set gemacht. Die Darsteller:innen hatten kleine Ohrhörer, über die sie eine Klavierbegleitung hörten. Zur Vorbereitung machten wir drei Wochen lang Voraufnahmen mit allen Darsteller:innen, sodass wir von jedem Song eine Version hatten, mit der sie sich interpretatorisch wohlfühlten. Dann haben wir entschieden, welche Klavierbegleitungen live eingespielt werden sollten, wobei die Darsteller:innen das Tempo frei wählen konnten, und diese mussten dann vorproduziert werden, weil Hintergrundgesang dabei war. Wann immer es möglich war, haben wir es live gemacht. Das ist ein sehr komplizierter Prozess, aber das Ziel der Musikabteilung war es, allen die bestmögliche Ausgangsposition für eine optimale Performance zu verschaffen.
F: Welche Rolle hatten Sie am Set während der Dreharbeiten?
Josh Schmidt: Ich war immer am Set, wenn gesungen oder getanzt wurde – bei den Proben, den Studioaufnahmen in Irland und Köln und im Salzbergwerk auf Sizilien. Meine Aufgabe war es, den Pianisten am Set zu dirigieren und mit Joshua zusammenzuarbeiten, wenn er mal einen Song überarbeiten musste. Einer meiner Lieblingsmomente ist es, zu hören, wie die Musik zum Leben erwacht, wenn die Darsteller:innen sich darauf einlassen und sie aufführen. Ich kann gar nicht genug Gutes über die Besetzung sagen. Alle haben großartige Leistungen erbracht und sich der Idee verschrieben, ihre Darbietung bodenständig und natürlich zu gestalten.
F: Wann wurde die Filmmusik aufgenommen und fertiggestellt?
Josh Schmidt: Wir hatten einen sehr straffen Postproduktionsprozess, bei dem die Orchestrierung neu geschrieben wurde, um der Intimität des Materials gerecht zu werden. Wir haben von Juli bis Januar 2024 über die Orchestrierung und die Begleitmusik diskutiert. Dann hatten wir einen Monat Zeit, um die Begleitmusik und die endgültige Orchestrierung zusammenzustellen, bevor wir im Februar mit dem Filmorchester Babelsberg in Berlin aufnahmen.
F: Worauf sind Sie als Komponist von The End künstlerisch am stolzesten?
Josh Schmidt: Das war mein erster Kontakt mit dieser Produktionsgröße und mein erster Kontakt mit Film auf diesem Level. Ich bin immer noch dabei zu verarbeiten, was ich gelernt habe, was ich gut gemacht habe und was ich hätte besser machen können. Es hat mich beflügelt und mir Perspektiven eröffnet, von denen ich vorher nicht einmal zu träumen gewagt hätte. Ich bin stolz und dankbar für die Zusammenarbeit mit allen Beteiligten.