Politik
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Der Vernunft gegen ihre Feinde beistehen
Der Friedens- und Verhaltensforscher Horst-Eberhard Richter über Atombomben als Versicherung gegen Machtverlust und über Wege, die eigene Friedensunfähigkeit zu brechen
Der Freitag: Seit Obamas Prager Rede vom 5. April wird wieder einmal die Idee einer kernwaffenfreien Welt beschworen, aber ist die überhaupt möglich? Auch wenn man alle Atomwaffen verschrottet, das Wissen darüber, wie man sie baut, lässt sich kaum verschrotten.
Horst-Eberhard Richter:
Sicher, nur deshalb hat ja Obama bei seiner Rede hinzu gefügt, dass er eine kernwaffenfreie Welt vielleicht nicht mehr erleben werde. Es kann sich also nur um einen Prozess der allmählichen Verringerung vorhandener Arsenale handeln. Aber – und das ist ein Gewinn – Obama hat keinen Zweifel gelassen, dass sich die USA strikt an den Atomwaffensperrvertrag von 1968 halten werden. Mit diesem Abkommen verpflichten sich bekanntlich die Signatarstaaten, Verhandlungen mit dem Z
von 1968 halten werden. Mit diesem Abkommen verpflichten sich bekanntlich die Signatarstaaten, Verhandlungen mit dem Ziel einer Vernichtung aller Kernwaffen zu führen. Nachdem Präsident Bush diesen Vertrag wie Makulatur behandelt hat, ist Obamas Bekenntnis auf jeden Fall ein Fortschritt. Wäre Obama nicht glaubwürdiger, wenn er gleichzeitig die Rückkehr der USA in den ABM-Vertrag zur Begrenzung der strategischen Abwehrsysteme verkündet hätte, den die Amerikaner 2002 verlassen haben?Das ist richtig. Ich schlage vor, dass wir in dieser Hinsicht abwarten, was die wieder aufgenommenen Verhandlungen mit Russland ergeben, die bis Ende des Jahres zu einem neuen START-Abkommen führen sollen, das Obama ausdrücklich wünscht. Ende der achtziger Jahre wollte der damalige sowjetische Präsident Gorbatschow schon einmal in einem Drei-Stufen-Programm alle Kernwaffen abzuschaffen. Woran ist er gescheitert? Ich habe selbst seit 1987 für vier Jahre in einem Kreis gesessen, den Gorbatschow ins Leben gerufen hatte und betreute. Das war eine Initiativgruppe, der auch der einstige US-Verteidigungsminister Robert McNamara und Andrej Sacharow, der Erfinder der sowjetischen Wasserstoffbombe, angehörten. Insgesamt waren wir 30 Politiker und Wissenschaftler aus fünf Kontinenten. Auf den Zusammenkünften in Moskau, bei denen Gorbatschow stets dabei war, habe ich von ihm wiederholt gehört, dass die Welt bis zum Jahr 2000 atomwaffenfrei sein könne – die Sowjetunion werde jedenfalls alles dafür tun. Und bei einer Reise in die USA habe ich 1988 miterlebt, wie Sacharow als Botschafter Gorbatschows diesen Willen den Amerikanern gegenüber bekräftigte. Gorbatschow war zur Nulllösung fest entschlossen. Hat sie aber nicht erreicht. Weil sich die Amerikaner geweigert haben, radikal abzurüsten. Doch Gorbatschow hielt daran fest, bis zum Ende seiner Amtszeit im Dezember 1991, als sich die Sowjetunion auflöste. Bedeutet Verzicht auf Atomwaffen nicht notgedrungen Machtverzicht, den kein Staat – eine Großmacht schon gar nicht – wirklich will?Aber was nützt es, so zu denken? Inzwischen hat sich herausgestellt: Es gibt auf der Welt kein politisches Ziel, das durch den Einsatz von Kernwaffen erreicht werden kann. Deren ungeheure Zerstörungskraft verhindert das. Nordkorea versucht gerade zu zeigen, dass nukleare Macht durchaus einen politischen Gebrauchswert haben kann. Ich halte das für eine verrückte, doch gefährliche Einschüchterungsgebärde eines isolierten diktatorischen Staates, der trotz völliger Abhängigkeit von ausländischer Hilfe seine Existenz behaupten will. Offenbar gedenkt Kim Jong-Il zugleich den Machtwechsel, der sich aufgrund seines schlechten Gesundheitszustandes ankündigt, auch nach außen hin abzuschirmen. Überfordert eine Welt ohne Kernwaffen nicht längst unser Vorstellungsvermögen? Jedenfalls haben wir uns an die Kernwaffen gewöhnt, und viele glauben, dass trotz der riesigen Bestände nichts passiert, weil in den Jahrzehnten nach Hiroshima und Nagasaki auch nichts passiert ist. Es hat sich die Fantasie eingeschlichen, dass eine technische Einschüchterungsstrategie, wie sie der Besitz von Atomwaffen erlaubt, geeignet sei, politisches Wohlverhalten zu erzwingen. Die wissenschaftliche-technische Revolution hat darüber hinaus dazu geführt, dass die Menschen sich selbst weniger zutrauen und den Glauben an eine humane Friedensfähigkeit verloren haben. Man meint, die ließe sich durch ein technisches Einschüchterungssystem ersetzen.Wenn ich Sie richtig verstehe, wollen Sie den totalen Bewusstseinswandel. Wie soll es dazu kommen? Ich denke, dass Abrüstung nur funktionieren kann durch ein grundsätzliches Umdenken. Man kann nichts erreichen, wenn man sich nur im Zeichen des Anti verbündet, also gegen die Atomwaffen. Es muss ein Pro da sein, so wie ich das bei Willy Brandt und später bei Gorbatschow erlebt habe. Der hat immer wieder klar gesagt: Es reicht nicht, nur gegen die atomare Bedrohung zu sein. Es gibt nur dann eine Zukunft, wenn wir uns für eine gemeinsame Sicherheit entscheiden. Überträgt man das auf unsere heutige Situation, heißt das: Es gibt keine Sicherheit gegen das Böse in der Welt, von dem immer die Rede ist – es gibt nur die eine gemeinsame Sicherheit, die darauf beruht, dass der Versöhnungswille stärker ist als der Wille, die Welt durch Gewalt vom Bösen befreien zu wollen. Dieser Versöhnungswille ist das Entscheidende – die eigentliche Triebkraft, um mit der eigenen Friedensunfähigkeit zu brechen. Die Rückkehr zum Neuen Denken, wie es Gorbatschow vertreten hat. Ja, weil ohne Umkehr im Denken auf Dauer auch der Atomwaffensperrvertrag, über den wir eingangs sprachen, nur ein Stück Papier bleibt. Wie wir uns überhaupt sagen müssen, Verträge – so notwendig sie auch sein mögen – erreichen nichts oder zu wenig, wenn der Wille fehlt, die Welt atomwaffenfrei zu machen.Das Gespräch führte Lutz Herden