Ohne es zu wollen, bestärken Männer wie Frauen den Mythos, das Internet sei ein digitaler Männerspielplatz. Angewandte Heldinnenforschung kann das ändern. Ein Vorschlag
Unser Handeln und Denken wird in hohem Maße von den Erwartungen bestimmt, die wir haben. Erwartungen wiederum sind eine Folge unserer Erfahrungen. Unterbewusst und schnell greift unser Gedächtnis auf sie zurück, und so kann ich beispielsweise diesen Text in einem Affentempo wegtippen. Mein Gehirn weiß, wie die Tasten auf der Tastatur angeordnet sind. Genauso automatisch wie das Tippen laufen Sortierungen in unserem Kopf ab – kurz: unser Schubladendenken. Wir merken oft gar nicht, wenn wir Männer für die besseren Naturwissenschaftler halten oder glauben, dass Frauen schlechter einparken.
In Deutschland ist der stereotype Blogger ein Mann. Er ist weiß, um die 40 Jahre alt und bloggt über „harte“ Themen wie Politik oder Technik. Spreebl
k. Spreeblick, Netzpolitik und Bildblog stehen repräsentativ dafür. Alles tolle Blogs, keine Frage. Warum aber sind Blogs von Frauen durch die Bank weniger präsent? Warum werden sie weniger verlinkt und fahren längst nicht so viele Einnahmen ein wie die so genannten Alpha-Blogger? Und warum kommen uns Blogs zu „Frauenthemen“ weniger wichtig vor?Es ist unser Assoziationsgedächtnis, das uns einen Strich durch die Rechnung macht: Begriffe, die ständig zusammen gedacht werden wie „Politik und Männer“, „Mode und Frauen“ oder „Frauen und Gedöns“ sind nur mit viel Mühe umzusortieren. Es ist Gewohnheit, die uns auf die Alpha-Blogs führt, wenn wir Politisches lesen wollen. Man könnte auch sagen: Faulheit.Netzhabitus – ein männliches Spiel?Nicht nur die Seite des Empfängers führt in der Internetgesellschaft zu einem Ungleichgewicht in der Sichtbarkeit. Auch die Akteursseite, die Sender, haben an der Produktion von Stereotypen teil: Friedfertigkeit, Genügsamkeit und Zurückhaltung gelten als typisch weiblich und sind im Verhalten von Frauen deutlich häufiger zu finden als bei Männern.Je weiter die Forschung über Ursachen und Wirkungen der Trennung der Geschlechter im politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben voranschreitet, desto mehr reift die Erkenntnis, dass wir es mit starken sozialisatorischen Kräften zu tun haben, die ein Baby vom ersten Schrei an auf eine geschlechtliche Rolle festlegen. Diese Rollen führen dazu, dass Frauen und Männer unterschiedlich stark in Wettkampfsituationen auftreten.Die Währung des Internets ist Aufmerksamkeit. Wer steht auf Platz 1 der Blogrankings? Wer wird im Fernsehen, Radio und in den „wichtigsten“ Online-Medien zitiert oder interviewt? Wer wird von anderen am häufigsten verlinkt? Und wer darf auf den jährlichen Blogosphären-Stelldicheins reden? Das alles sind Wettkampfsituationen. Natürlich: Hier geht es um nichts Geringeres als um das alte Gerangel um Macht und Deutungshoheiten. Ein Spiel, dessen Regeln Frauen oft nicht so gut beherrschen und manchmal auch nicht beherrschen wollen.Die „feinen Unterschiede“ zwischen Alpha- und Beta-BloggerInnen entstehen durch einen ganz bestimmten Verhaltenskodex, einen Netz-Habitus, der beherrscht werden will, wenn die monatliche Auszahlung der Aufmerksamkeits-Dividende zufriedenstellend ausfallen soll. Von „Gamma-BloggerInnen“ mal ganz zu schweigen – oder davon, dass Bloggen an sich schon ein recht großes kulturelles Kapital voraussetzt.Raus aus den Schubladen!Das gilt überallNicht nur online sind Frauen weniger sichtbar. Eine umfassende Medien-Studie der Freien Universität Berlin und der Universität Lüneburg hat gezeigt: Nicht einmal jede fünfte Person aus Wirtschaft, Politik oder Wissenschaft, über die in ausgewählten repräsentativen Medien zwischen April und September 2008 berichtet wurde, war weiblich. Gemessen an ihrem Anteil in den betrachteten Berufsgruppen sind Frauen deutlich unterrepräsentiert. In der Studie kam zudem heraus, dass bei den wenigen Frauen, über die berichtet wurde, der professionelle Status eine untergeordnete Rolle spielte, wohingegen Profession und Männlichkeit in der medialen Darstellung geradezu verschmelzen. So schrieb etwa die Süddeutsche Zeitung „Sakko weg, Krawatte locker, Ärmel hoch. Und dann geht’s los. Frank-Walter Steinmeier brüllt fast vom ersten Wort an in den Saal“ über den einstigen Vizekanzler. Ministerin Gesine Schwan hingegen wird als „die schlanke, hochgewachsene Dame mit dem Lockenkopf, im blutroten Kostüm, schwarzen, hochhackigen Pumps und filigranen Perlenbällchen an den Ohren“ dargestellt.Gewohnheit und Faulheit sind unsere ärgsten Feinde, wenn wir nach einer bunteren, vielfältigeren und eben auch weiblicheren Blogosphäre streben. Der Wille allein, Stereotype zu ändern, macht uns noch nicht zu Menschen, die jenseits von Stereotypen denken und handeln. Dennoch ist der erste und mit Sicherheit wichtigste Schritt, sie uns bewusst zu machen. Vielleicht ist es auch der schwerste. Unser Assoziationsgedächtnis arbeitet ja unbewusst und automatisch.Dazu kommt, dass keiner sich selbst gerne als „Arschloch“ sieht. Wenn uns jemand den Spiegel vorhält und uns zeigt, dass wir andere diskriminieren, wird sich alles in uns gegen diese Unterstellung wehren. Wir sind doch die Guten und kämpfen gegen das Böse!Auf der Blogkonferenz re:publica 2009 war die Frauenquote unter den Vortragenden miserabel. Fast noch schlimmer war aber die Tatsache, dass alle deutschen Bloggerinnen an einen Katzentisch in Form eines Workshops mit dem Titel „Wenn Frauen bloggen“ gesetzt wurden, anstatt – wie die Männer – ein eigenes Panel pro Thema zu erhalten. Kaum eine hat sich dagegen gewehrt. Sich durchsetzen, die Stimme erheben, lautstark den eigenen Standpunkt vertreten – viele Frauen haben nicht gelernt, dass diese „Künste“ unglaublich wertvoll und wichtig sind. Nicht nur, dass solche Verhaltensweisen von Frauen oft als vermeidenswert und unangenehm betrachtet werden; Frauen, die sich selbstverständlich stark verhalten, werden als sozial inkompetent abgestempelt – von Männern wie Frauen gleichermaßen.So geht das:Schafft digitale VorbilderDagegen, so „Schubladen“-Forscher und Sozialpsychologe Jens Förster von der Universität Amsterdam, helfen nur Vorbilder. Eine einzelne Frau im Männer-Reigen reiche allerdings nicht – sie würde als „Ausnahme“ klassifiziert. Viele müssten es sein – viele digitale Vorbilder.Wir müssen aber noch einen Schritt weitergehen: Wir müssen die schon existierenden Vorbilder verstärken. All jene Frauen, die klug, intelligent, pointiert, interessant, anders und herzerwärmend bloggen, müssen auch durch uns lauter, sichtbarer und präsenter werden – sonst gehen sie wie die Spitzenfrauen in den herkömmlichen Medien unter. Um es mit den Worten der Herausgeberinnen der Missy zu formulieren: Wenn die digitale Gesellschaft ein Spielplatz ist, „dann sind 80 Prozent dieses Spielplatzes ohnehin schon von Jungs besetzt“. Und „weil wir keine Lust haben, ihnen immer nur beim Spielen zuzusehen, bringen wir jetzt also unser eigenes Gummitwist mit.“ Das Missy Magazine ist die Antwort auf Spex, Intro und Co – die die Popkultur-Szene bisher dominierten. In der digitalen Welt sind Blogs wie maedchenmannschaft.net eine Antwort auf Netzpolitik, Spreeblick und Co.Wer das Verlernen lernt, ist klar im VorteilSeit dem Jahr 2009 hat sich viel bewegt: Noch auf besagter re:publica wurde der Beschluss gefasst, Frauen stärker zu vernetzen. Es gründete sich die „Girl on Web Society“, die Bloggerinnen aus dem deutschsprachigen Raum zusammenführt – online wie offline. Das Projekt girlscanblog.org von Annina Luzie Schmid stellt in regelmäßigen Abständen tolle Blogs von Frauen vor.Alle Beteiligten müssen sich enorm anstrengen, ihre festgefahrenen Bewertungen umzucodieren. Stereotype und Vorurteile zu verlernen, ist ein langer und schwerer Prozess – erst recht, wenn man seinem Gegenüber nie real, sondern nur digital gegenübersteht. Quoten, gezieltes Heben von verborgenen Schätzen und direkte Vernetzung der mächtigen mit den unsichtbaren Akteuren sind drei wichtige Bausteine auf dem Weg zur digitalen Vielfalt. Machen wir uns auf.