Carolin Emcke: „Die FDP hat nur noch einen amputierten Freiheitsbegriff“
Interview Vor Kurzem hat Carolin Emcke den Essay „Was wahr ist“ veröffentlicht, in dem sie darüber nachdenkt, wie sich der Klimawandel vermitteln lässt. Warum sind so viele Menschen nicht überzeugt von grüner Politik – und wo bleibt die Freiheit?
Wer ist dafür verantwortlich, dass ambitionierter Klimaschutz derzeit keine Mehrheit in der Gesellschaft hat? Sind es die Aktivisten, deren Aktionen nicht immer gut ankommen bei den Menschen? Oder stecken andere Akteure dahinter? Carolin Emcke, die vor Kurzem den Essay Was wahr ist veröffentlichte, hat eine eindeutige Antwort auf diese Frage.
der Freitag: Frau Emcke, Luisa Neubauer hat vor der EU-Wahl gesagt, wählen gehen sei wie Zähneputzen: Wenn man‘s nicht macht, wird‘s braun. Glauben Sie, dieser pädagogische Ton der Klimabewegung verfängt?
Carolin Emcke: Ich habe enormen Respekt vor Luisa Neubauer, vor der Lebensentscheidung, die sie getroffen hat. Zu sagen: Ich treibe nicht meine persönlichen oder beruflichen Ambitionen voran, sondern widme
: Ich habe enormen Respekt vor Luisa Neubauer, vor der Lebensentscheidung, die sie getroffen hat. Zu sagen: Ich treibe nicht meine persönlichen oder beruflichen Ambitionen voran, sondern widme mich mit aller Hingabe einer historischen Aufgabe. Was dieser Mensch alles einsetzt, was auf sie alles einprasselt an Verachtung. Da werde ich mich nicht hinstellen und bei jedem einzelnen Satz mäkeln, was mir missfallen hat. Wir brauchen auch mal etwas gelassene Großzügigkeit – und auch Dankbarkeit für alle, die sich für etwas einsetzen, was jenseits von ihnen selbst liegt.In Ihrem Werk spielt Demut eine große Rolle. Aber die fehlt der Klimabewegung, oder? Kamen Ihnen die Hungerstreikenden in Berlin demütig vor, als sie sagten: Erfüllt unsere Forderungen, sonst bringen wir uns um?Das klingt zynisch. Da haben Menschen ihre eigenen Körper, ihr Leben eingesetzt aus Verzweiflung. Mich erschreckt das. Auch wenn ich das politisch für die falsche Strategie halte. Es gibt Hungerstreik als ultimativen Protest in Situationen der Entrechtung und Gewalt, in denen Menschen keine anderen Gesten der Kritik mehr haben. Aber wir haben in dieser Gesellschaft glücklicherweise andere Möglichkeiten.Der Hungerstreik ist nun vorbei.Ja. Gott sei Dank. Aber darf ich noch einmal zurück zu Ihrer Frage? Sie suggerierten, der Klimabewegung mangele es an Demut. Ist es nicht andersherum? War es nicht fehlende Demut der Schöpfung gegenüber, sich über die Natur zu stellen, das, was uns als Menschen gegeben wurde, zu zerstören? Demut unserer Welt gegenüber steht doch im normativen Zentrum der Klimabewegung.Im Essay „Was wahr ist“ sagen Sie: Wir müssen den Leuten das Gefühl geben, dass es beim Klimawandel noch etwas zu entdecken gibt und sie die Umstellung auf eine umweltfreundlichere Art des Wirtschaftens aktiv mitgestalten können. Ist das der richtige Weg: den Menschen die Klimakatastrophe als Erlebnisspielplatz zu verkaufen?Erlebnisspielplatz? Ist das nicht sehr polemisch? Gewiss, manchmal öffnet sich durch provozierende Zuspitzung etwas in einem Gespräch. Das ist gut. Aber oft verhindert Polemik bloß echte Verständigung. Anstatt zugewandt Differenzen zu erörtern, gibt es so ein Konfrontations-Pingpong. Das mag als unterhaltsam gelten, aber es hat auch etwas traurig Destruktives. Aber zur Sache: es gibt ein Fundament von wissenschaftlichen Erkenntnissen, das gilt. Aber dann gibt es noch politische oder kulturelle oder ökonomische Fragen, die ungelöst sind. Ich plädiere dafür, die politischen Fragen des Klimaschutzes als unsichere, als offene zu erzählen. Weil sich Menschen eher für etwas interessieren, bei dem sie mitwirken können.Und wie wollen Sie mit diesem Ansatz Skeptiker überzeugen?Sie müssen zwischen Skepsis und Leugnung unterscheiden. Diejenigen, die die Wirklichkeit leugnen und Verschwörungsmythen vertreten, lassen sich leider nicht mehr mit Argumenten überzeugen. Aber Skepsis ist etwas anderes. Ich will skeptisches Denken erhalten. Ich muss auch meine eigenen Positionen immer wieder durchlässig halten für Einwände. Nicht nur von außen. Sondern ich will selber irritierbar bleiben, auch Ambivalenzen an mir beobachten und artikulieren können. Aber wir müssen zurückkehren zu einem Diskurs, der Standards der Zivilität und Wahrheit nicht unterschreitet. Das ist das ethische Minimum.Es soll Leute geben, die stolz auf ihre Arbeit sind, die sie in der fossilen Industrie geleistet haben. Aber bei Ihnen habe ich gelesen, auf solche Gefühle zu hören, mache uns zu „Untertanen des Affektes“.Nein. Das sage ich gerade nicht. Mir geht es im Gegenteil darum, die psychischen Dimensionen der Klimakrise ernst zu nehmen. Ich will sie gerade nicht negieren, sondern will freilegen, was es bedeutet, wenn jemandem, der im Bergbau gearbeitet hat, der seinen Körper zerschunden hat, um ein Leben aufzubauen, um eine Familie zu ernähren – wenn dem dieser Stolz nun genommen wird. Ich kann das so gut nachempfinden. Es kann keinen Diskurs über den Klimaschutz geben ohne Anerkennung der belastenden Affekte, die auch berührt werden. Aber Gefühle lassen sich befragen, Angst, Scham, Wut, sie lassen sich auch reflektieren, wie angemessen, wie ermächtigend, wie destruktiv sie sind. Das lernen wir als Individuen, und das müssen wir als Gesellschaft lernen. Und die ökologische Transformation wird sich daran messen lassen müssen, ob es ihr gelingt, eben auch soziale, kulturelle Bedürfnisse zu erfüllen, ob es gelingt, das Gefühl von Sicherheit, von Aufgehobenheit in einer nachhaltigeren Lebensform zu vermitteln. Ein Diskurs, der nicht auch berührt, der nicht auch zugewandt ist und Menschen annimmt, wird nicht wirksam sein.Sie sagen, man müsse drei Dinge beherrschen, wenn man über die Klimakrise schreiben will: Kartografieren, Wahrsprechen und Übersetzen. Können Sie mal erklären, was Sie damit meinen?Gerne. Ich glaube, dass zu lange mit Negativ-Szenarien gearbeitet wurde. Wir brauchen aber ein Denken in Möglichkeiten: WissenschaftlerInnen, UnternehmerInnen, alle, die Innovationen entwickeln – sie kartografieren die unbekannte Landschaft vor uns, sie zeigen uns in Modellierungen und Visionen den Weg, den wir beschreiten können.Wer fällt Ihnen da konkret ein?WissenschaftlerInnen wie Ottmar Edenhofer vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, aber auch alle aus der Praxis, die etwas ausprobieren, die etwas erfinden, was uns andere Horizonte eröffnet. Das sind auch die Belegschaften und Betriebe, die gemeinsam etwas wagen und damit anderen aufzeigen, was möglich ist.Und was meinen Sie mit Wahrsprechen und Übersetzen?Das „Wahrsprechen“ braucht es gegenüber mächtigen Akteuren, die unsere Standards der Rationalität destabilisieren wollen. Im internationalen Kontext sind das unter anderem Russland, China, Iran. Da braucht es staatliche und nicht-staatliche Antworten drauf. Wir müssen den Wahrheitsbegriff verteidigen – sonst ist die Demokratie verloren. Und es braucht, was ich „Übersetzen“ nenne. Wir brauchen die Vermittlung von Wissen in vielfältige Sprachen und Bilder, die zugänglicher und verständlicher sind. Dazu braucht es andere Algorithmen in den sozialen Medien und es braucht Lehrerinnen und Erzieher, Filmemacher und Schriftstellerinnen, Spiele-Entwickler und Rapperinnen, Fußballtrainer und Gewerkschafterinnen.Placeholder infobox-1Sie schreiben, die Klimabewegung müsse es schaffen, endlich als Befreiungsbewegung wahrgenommen zu werden. Warum klappt das nicht so richtig? Nicht einmal bei mir: Ich kriege vielleicht ein schlechtes Gewissen, wenn ich die Aktivisten sehe, aber ein Gefühl von „die-wollen-mich-retten“ kommt nicht auf.Warum machen Sie die geringe Zustimmung für eine ambitionierte Klimapolitik ausgerechnet an denjenigen fest, die sich dafür engagieren? Ich finde viel interessanter, was die Liberalen oder Konservativen programmatisch mit dem Klimaschutz verbinden könnte.Und was wäre das?Das Verfassungsgericht hat 2021 eine Steilvorlage für die FDP geliefert. Die Begründung für das Klimaurteil war ja nicht die Generationen-Gerechtigkeit, was meiner Ansicht nach normativ naheliegender gewesen wäre. Karlsruhe hat nicht mit dem Begriff der Gleichheit argumentiert, sondern mit dem der Freiheit. Durch zu geringen Klimaschutz würden die Freiheitsrechte der nachfolgenden Generationen inakzeptabel eingeschränkt. Das war für den Liberalismus eigentlich spektakulär. Sie hätten daraufhin das Klima zu ihrem ureigenen Anliegen machen können. Stattdessen gibt es eine FDP, die nur noch einen amputierten Begriff von Freiheit hat und sich an die investitionsfeindliche Schuldenbremse klammert. Ich denke auch, die Konservativen haben in ihrem ethischen Glutkern eigentlich eine enge Verbindung zur Natur und deren Erhalt. Warum haben sie den vergessen? Darüber sollten wir hier auch diskutieren. Und nicht nur über die Schwächen der Klimabewegung.Aber Sie haben noch nicht erklärt, warum diese nicht als Befreiungsbewegung gesehen wird. Das interessiert mich.Das ist eine lustige Haltung. Sie schauen auf das Stagnieren im Klimaschutz – und werfen denen, die sich dafür einsetzen, vor, dass sie noch nicht alle überzeugt haben. Das nennen wir Pluralität. Das nennen wir Vielfalt an Interessen und Perspektiven. Und es gibt massives Störfeuer gerade internationaler, autoritärer Regime. Ich kann versuchen, gute Gründe für mein Denken zu finden. Aber ich bin nicht die „Generation Klick“ und erwarte, dass Menschen mir sofort zustimmen, wenn ich auf einen Knopf drücke. Politische Willensbildung ist ein Prozess. Auch das hat etwas mit intellektueller Demut zu tun. Sozialer Fortschritt, politische Freiheitskämpfe brauchen Zeit und Geduld, sie brauchen Mut und Gleichmut. Es sind Generationen, die sich vor mir für Menschen- und Bürgerrechte eingesetzt haben, die geschrieben, gestritten, protestiert haben. Und auch sie sind gescheitert, sie sind abgelehnt und angefeindet worden, sie haben sich geirrt, sie haben sich verirrt, sie haben Fehler gemacht, so wie ich auch, und mussten sich verändern und dazulernen. In diese Tradition stelle ich mich.
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