Der Krieg im Osten und die Ampelkoalition: Nach den Europa- ist vor den Landtagswahlen
Ukraine Es gibt ein Thema, das die Ampelkoalition genauso eint wie die meisten ihrer Gegner: Der Krieg in der Ukraine. Die einen schicken Waffen, die anderen fordern Frieden. Was heißt das für Olaf Scholz?
Präsident Wolodymyr Selenskyj und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bei der Ukraine-Wiederaufbaukonferenz in Berlin, Juni 2024
Foto: Picture Alliance/Reuters/Annegret Hilse
In der Ampelkoalition gibt es ja doch dieses eine Thema, bei dem meist größte Einigkeit bestand: der Krieg. Den vorläufigen Höhepunkt jener rot-grün-gelben Geschlossenheit markiert die Erlaubnis zum Beschuss von Zielen in Russland mit deutschen Waffen. Erteilt hat sie Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Wenn der sein Ukraine-Fähnchen weiter nur in den Wind hängt, der gerade aus Washington weht, wird er spätestens nach der nächsten Bundestagswahl nicht mehr Kanzler sein; oder aber der Wind aus Washington dreht sich.
dreht sich.Scholz trifft Ostdeutschlands MinisterpräsidentenGerade hat Scholz Ostdeutschlands Ministerpräsidenten getroffen: Migration, Grenzkontrollen, Abschiebungen hält nicht nur Sachsen-Anhalts Landeschef Reiner Haseloff (CDU) für entscheidend, um die AfD aufzuhalten. In Sachsen-Anhalt hat am Wochenende ein 2022 nach Deutschland eingereister Afghane einen Mann getötet und danach auf einem Privatgrundstück bei einer EM-Party wahllos drei Menschen teils schwer verletzt. Nur – was soll Scholz anderes sagen, als dass jüngst die seit 20 Jahren „wahrscheinlich größten Veränderungen des rechtlichen Rahmens für das Management der irregulären Migration zustande gekommen“ sind? Für den Bau eines Grenzzauns um das Land wird der Ampel die Puste wohl kaum mehr reichen.Migrationspolitik entpuppte sich auch gar nicht als wichtigstes Thema der jüngsten Wahlen. In den Umfragen einen Monat vorher war das noch anders gewesen. Die „wahrscheinlich“ härtesten Asylrechtsverschärfungen „seit 20 Jahren“ haben wohl ein wenig gewirkt. Mancher ostdeutsche Ministerpräsident mag da abseits der Mikros Olaf Scholz nach dem entscheidenderen Thema gefragt haben, um die AfD aufzuhalten, ebenso wie das BSW, das Bündnis Sahra Wagenknecht. Das wichtigste Thema der Europawahl war: „Friedenssicherung“.Russland einbeziehenKanzler Scholz hatte in der Schweiz gerade gesagt, und das war eine der raren nennenswerten Verlautbarungen der dortigen Ukraine-Konferenz, nennenswerter jedenfalls als seine angefügte Aufforderung zum sofortigen Rückzug an Russland: „Es ist wahr, dass der Frieden in der Ukraine nicht erreicht werden kann, ohne Russland mit einzubeziehen.“Der Einbezug liegt in der Realität näher als der Rückzug Russlands. Am nächsten fühlen sich viele aber einer Eskalation des Krieges, vor allem im Osten. Die dortigen kaum nennenswerten Wahlwerte der Ampel-Parteien sind bekannt. Die der AfD und des BSW ebenfalls. Dass sich die AfD bundesweit auf dem 15- statt auf dem 10-Prozent-Niveau etabliert, dass sie sich im Osten verankert, dass sich eine linkspopulistische Partei fünf Monate nach Gründung in fünf Bundesländern als drittstärkste Kraft empfiehlt – das wäre ohne Russlands Krieg in der Ukraine und ohne diesen Umgang der Bundesregierung damit nicht unbedingt so gekommen. Wie die Ampelkoalition bis dato der Krieg, so eint das Drängen auf Frieden gerade in Ostdeutschland viele Menschen, die politisch eigentlich unterschiedlich ticken.„Putin-Versteher“!Ob Westdeutsche das bestätigt bekämen, würden sie öfter nach Sachsen als nach Mallorca reisen, wie es Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) jüngst empfahl, ist unsicher. Denn dieser Krieg ist kein Thema, über das ein Gast und sein Gastwirt etwa in Dresden sogleich ins Gespräch kommen werden. Etlichen Gästen aus dem Westen könnten derart die Ohren schlackern, dass der Mallorca-Flug für die nächste Reise schnell gebucht wäre.Das ist schade, denn sich wirklich für den Osten zu interessieren, würde bedeuten, sich für seine gerade im Hinblick auf die Sowjetunion und Russland ambivalente Geschichte zu interessieren. Doch für die, die am 80. Jahrestag der Landung der Alliierten in der Normandie reden, als sei Deutschland nur von Westen her befreit worden, ist die Beschimpfung „Putin-Versteher“ schnell bei der Hand, wenn einer Verhandlungen mit Russland fordert.FDP-„Eurofighterin“ Marie-Agnes Strack-Zimmermann hatte sich dieser Worte kurz vor der Wahl wieder bedient, gegenüber Fabio De Masi vom BSW, bei Hart aber fair. Zum Misstrauensschatten auf der Meinungsvielfalt haben gerade die Liberalen viel beigetragen. Man muss hoffen, dass Bettina Stark-Watzinger (FDP) als Wissenschaftsministerin nicht auf die Idee gekommen ist, Unterzeichnerlisten von Friedensappellen prüfen zu lassen – auf Wissenschaftler, denen man Finanzmittel entziehen könnte, weil sie sich ihrer Meinungsfreiheit bedient haben.Die Ukraine-Hilfe und die SchuldenbremseFür die enormen Mittel, die das Rüsten gegen Russland und für die volle Freiheit der Ukraine erfordert, wird Finanzminister Christian Lindner (FDP) vielleicht noch eine Sonder-Umgehung der Schuldenbremse finden. So ließe sich mit der Ukraine einmal mehr die Hürde Haushalt nehmen.Doch will Olaf Scholz sich dann gegenüber seinen bisherigen Koalitionspartnern wie gegenüber der Union profilieren, will er von den je rund 600.000 zu AfD und BSW gewechselten und den 2,5 Millionen zu Hause gebliebenen SPD-Wählern eine nennenswerte Zahl zurückholen und will er seine Partei im Herbst bei den drei ostdeutschen Wahlen nicht ganz untergehen sehen – so wird er konkreter werden müssen hinsichtlich des Erreichens von Frieden in der Ukraine und des Einbezugs Russlands. Dass Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) gerade zürnte, weil der Kanzler die Verschärfung von Russland-Sanktionen bremse, mag ein weiterer Fingerzeig in diese Richtung sein.
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